Weilheim · Lenningen · Umland
Kuhparadies auf der Schwäbischen Alb

Landwirtschaft Die Ziegelhütte hat ein neues Projekt ins Leben gerufen. Im Mittelpunkt steht die natürliche ­Kälberaufzucht. Unter anderem soll der aktuelle Stall erweitert werden. Von Finn Schweizer

Auf der Ziegelhütte dürfen die rund 30 Fleckviehkühe noch Kühe sein. Hier sieht man keine Kuh ohne Hörner, und auch die Kälber dürfen in Zukunft bei ihren Mutterkühen aufwachsen. Um diese natürliche Aufzucht zu ermöglichen, braucht es einen größeren Stall, erläutert Susanna Lindeke, die Leiterin der kuhgebundenen Kälberaufzucht auf dem Hof Ziegelhütte. Um eine Stallerweiterung zu finanzieren, hat die Ziegelhütte das Projekt „Stallanbau für Kuh und Kalb“ ins Leben gerufen. „Das Ziel hinter dem Projekt ist die Beziehung zwischen Kuh und Kalb zu ermöglichen und trotzdem die Milchviehhaltung und dabei die leckere Käseproduktion nicht aufgeben zu müssen“, so Lindeke. Für sie ist das  eine Art „Teamwork“ zwischen Kuh, Kalb und Bauern.

 

Ich hatte schon immer ein ungutes Gefühl, unsere Kälber von der Mutter zu trennen.
Susanna Lindeke

 

„Ich hatte schon immer ein ungutes Gefühl, unsere Kälber von der Mutter zu trennen, vor allem wenn die Mutter das nicht wollte“, sagt Susanna Lindeke. Deshalb geht die Ziegelhütte noch weiter. Auch die Bullenkälber sollen auf dem Hof ein Zuhause finden und werden nicht wie üblich nach der Geburt verkauft. „Die beste Ideengeberin ist eigentlich immer die Natur“, weiß die gelernte Landwirtin, die nach ihrer Lehre noch ökologische Agrarwissenschaften studiert hat. Ein Vorbild nimmt sie sich dort auch bei den Hörnern der Kühe. Denn wo andere ein Sicherheitsrisiko sehen, sieht Susanna Lindeke einen wichtigen Gesundheitsaspekt.

Viele vergessen ihr zufolge, dass die Kuh unter anderem überschüssige Wärme durch die Hörner absorbiert und somit einen kühlen Kopf behält. Das schütze die Kuh vor Hirnschäden und Überhitzung. Selbst das Risiko, dass ein Kälbchen die Mutterkuh mit den Hörnern verletzt, schätzt Susanna Lindeke als niedrig ein. Dass die Kälber von der Mutterkuh lernen und trinken dürfen, ist für sie wichtig. „Das ist die Lebensaufgabe der Kuh“, sagt sie, als sie im Kalbstall die Neulinge des Hofs mit Namen begrüßt und fügt hinzu: ‚,Für mich sind sie wie eine Schulklasse.“ Ein weiterer Aspekt: „Durch die direkte Aufnahme der Muttermilch wird nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern auch das Sozialverhalten der Kühe gesteigert“, so die Bäuerin.

Ein weiterer Schritt in Richtung Natürlichkeit und artgerechte Haltung stellt nun das neue Projekt der Ziegelhütte dar. Der Stall der Kühe soll sich um knapp ein Viertel des bisherigen Gebäudes vergrößern und eine angehnehme Stallperiode im Winter ermöglichen. Auch auf die Wintersonne müssen die Kühe der Ziegelhütte nicht verzichten und dürfen dank eines zusätzlichen Auslaufs den Stall auch verlassen. Für die Ziegelhütte steht nicht nur das wirtschaftliche Interesse im Vordergrund. Es ist vielmehr eine Gewissensentscheidung für die Tiere, meint Susanna Lindeke. Ihr zufolge kostet die Kuh-und-Kalb-Aufzucht die Ziegelhütte pro Kalb rund 500 bis 800 Liter Milch, umgerechnet in Käselaibe sind das vier bis sechs Albkäse pro Kalb weniger für die Ziegelhütte. 

Um diese Aufzucht zu ermöglichen, gibt es neben den Hauptverantwortlichen „Verein Hof Ziegelhütte – Landwirtschaftliche Initiative zur Förderung der Jugendarbeit“ und der aktiven Jugendarbeit auf dem Hof weitere finanzielle Unterstützung von privaten Spendern und durch Einnahmen von Hoffesten und Benefizveranstaltungen. Auch der direkte Einkauf im Hofladen unterstützt die Ziegelhütte. Eine großzügige Summe hat die Ziegelhütte von der Software AG Stiftung erhalten: Sie hat rund 40 000 Euro für das Projekt gespendet. Das Geld wird für die geplante Stallerweiterung der Kälber verwendet. Insgesamt rechnet die Ziegelhütte mit Kosten von bis zu 120 000 Euro.

„Ich freue mich auf den Tag, an dem wir kein Kälbchen mehr vom Hof schicken müssen, weil es unwirtschaftlich ist. Das alle Tiere, die hier geboren werden, ihre Milch vom Euter trinken dürfen und hier großwerden können“, wünscht sich Susanna Lindeke abschließend für die Zukunft der Kälber auf der Ziegelhütte.

Wer das Projekt unterstützen und gleichzeitig den hofeigenen Käse probieren möchte, kann am 20. Januar kommenden Jahres an einem Benefiz-Fondue-Essen auf der Ziegelhütte teilnehmen. Gäste erwartet ein Vier-Gänge-Menü, das von der Schweizer Köchin Nadine Michel zubereitet wird.