Die Performance zum Auftakt der Langen Kunstnacht in der Alten Steingießerei war unfreiwillig. Eines der fragilen Metall-Kunstwerke des Künstlerkollektivs Domenik Gebhardt und Kevin Kolland wurde mit Getöse zu Fall gebracht. Aber keiner will es gewesen sein. Wegen des Regens drängten sich zahlreiche Gäste in dem Raum, in dem traditionell die Ausstellungen der Landkreisstipendiaten im Rahmen der Langen Kunstnacht im Kulturpark Dettinger stattfinden.
Plochingens Bürgermeister Frank Buß und der Esslinger Landrat Heinz Eininger laden seit 2017 zu dieser besonderen Nacht ein, bei der Stipendiaten und Dauermieter im früheren Produktionsgebäude der ehemaligen Mühlsteinfabrik ihre Kreativzellen zu Orten der Begegnung machen. Die Aura dieses denkmalgeschützten Kleinods ist einmalig, da sind sich Verantwortliche, Nutzer und Genießer einig.
Das Publikum strömt
Deshalb ist das Wetter auch egal. Das Publikum strömt, und für viele ist der jährliche Kunstnachtabstecher wie Heimkommen. Man kennt sich, verfolgt die Entwicklung der Einzelnen und entdeckt überraschend Neues, wie der Kunsthistoriker Tobias Wall in seiner „Schauanleitung fürs Publikum“ zugab.
Das riesige „Altarbild“ des ukrainischen Malers Ivan Zozulya erinnerte Wall an „Das jüngste Gericht“ von Hieronymus Bosch. Lennart Cleeman ist nicht nur Bildhauer, sondern auch Zauberer und Geräuschsammler. Ein Wurzelstock schwebt schwerelos in der Luft, einem Sägeblatt entlockte er zarte Töne, aus einem riesigen feuerwehrroten Boxsack aus Metall kam Glockengeläut und eine Kette ließ er gruselig rasseln.
Multimediale Ausstellung
Anna Lehrers Architekturmodelle erinnern an abstrakte Stadtlandschaften, und das Licht- und Schattenspiel ihrer Fotografien lässt an Wäscheleinen in Venedig denken. Mit „Silentium“ ist die multimediale Ausstellung des Künstlerduos Müller & Sohn im Schauraum überschrieben. Die Besucher und Besucherinnen konnten sich gar nicht sattsehen in dem White Cube, der Videoinstallationen, Objekte, Gemälde und Windorganismen wie in einem Forschungslabor präsentierte. Einen akustischen Kontrapunkt setze die Rockband „Us and Them“ im Treppenhaus. „Da wackelt die Bude“, prophezeite Landrat Eininger.
Im Atelier des Malers Wolfgang Fohrer gab es ein kleines Konzert mit einem gesungenen Gedicht von Wilhelm Busch „Für einen Porträtmaler“ – und passend zum Genre einen Aphorismus aus der Feder des Zeichners, Malers und Schriftstellers: „Leicht kommt man an das Bildermalen, doch schwer an Leute, die’s bezahlen.“ Wie in einem OP-Saal sähe es aus in seinem weißen Atelier – so habe es ein verblüffter Besucher empfunden, erzählt der Zeichner Ibrahim Kocaoglu. Strukturiert und sauber muss es sein, schließlich arbeitet er auf dem Boden. Bei Kevin Kolland und Domenik Gebhardt hüllten gegen später experimentelle Klanglandschaften des Auvikogue-Trios die Flaneure ein.
Wie in einer Wunderkammer wähnte man sich im Atelier des Malers und Bildhauers Wolfgang Thiel: Figuren, Entwürfe, Zeichnungen, Farben, Stifte, Töpfe und Tiegel faszinierten die Schaulustigen. Bei Stahlbildhauerin Manuela Tirler waren es die gewichtigen Stahlskulpturen und bei der Textilkünstlerin Verena Könekamp die farbleuchtenden Raumarbeiten, die die Gäste magisch anzogen.
Den Pferdestall betreibt die Initiative Mahlwerk mittlerweile seit 25 Jahren. Er wurde von der Vereinsvorsitzenden Anu Paflitschek und ihrer Tochter Siri mit eigenen Arbeiten bespielt.
Der Kulturpark Dettinger wurde vor 32 Jahren eröffnet. Seither fördert der Landkreis junge Kunstschaffende mit einem dreijährigen Stipendium in vier Ateliers. Gemeinsame und Einzel-Ausstellungen werden durch die Stiftung Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen finanziert. Die Stadt Plochingen, der Kreis Esslingen und die Kunststiftung Baden-Württemberg gründeten gemeinsam die „Ateliergemeinschaft Kulturpark Dettinger“ mit dem Ziel, geförderte sowie bezahlbare Werkräume zur Verfügung zu stellen.