In seinem Rollstuhl kommt Wolfgang Kayko jeden Tag zum Stadtacker für kulturelle Vielfalt am Gärtnerhaus der städtischen Galerie Villa Merkel in Esslingen. „Da nehme ich mir auch mal einen Salat oder einen Rettich frisch vom Beet mit“, sagt der Rentner. Auch sein Hund Rambo ist dabei. Das Tier hat sich ein schattiges Plätzchen gesucht. Der schwerbehinderte Mann genießt die Mitarbeit. „Im Pflegeheim fiele mir die Decke auf den Kopf.“
Eigens für den Rollstuhlfahrer hat die Kunstvermittlerin Johanna Knoop zwei Hochbeete gezimmert. Behutsam häufelt er Erde an die mexikanischen Minigurken. „Mit etwas Pflege wächst alles“, sagt der Renter. Im vorderen Beet gedeiht ein roter Rettich in locker gehackter Erde. Das macht die Gartenfreunde glücklich, die aus unterschiedlichen Lebensbereichen kommen.
„Interkultureller Stadtacker für Vielfalt und Kunst“ – so heißt das Projekt, das die Kunstvermittlerin Johanna Knoop und die Volontärin Laura Becker angestoßen haben. Aber wo liegt in diesem Urban-Gardening-Projekt der Bezug zur Kunst? „Nutzpflanzen und seltene Arten, die wir aus Samen ziehen, inspirieren unsere Fantasie“, erklärt Knoop. Mit Performances, Lesungen und Kunstprojekten möchten sie und ihr Team den Stadtacker beleben. Das Projekt ergänzt ideal die Rank-Skulptur mit Kürbissen, die der italienische Künstler Leone Contini für das Festival „Über:morgen“ der Kulturregion im Merkelpark geschaffen hat. Dort wird auch das Zentrum des Festivals sein, das Julian Warner kuratiert. „In welcher Welt wollen wir leben?“, lautet die Leitfrage. Da gewinnt gemeinschaftliches Gärtnern eine neue Bedeutung für eine Stadtgesellschaft.
Das Bewusstsein der Menschen für Pflanzen und für die Natur zu schärfen ist ein Ziel. „Zugleich geht es uns darum, ein neues Publikum für moderne Kunst zu begeistern“, sagt Laura Becker. Die österreichische Künstlerin Gabriela Oberkofler hat mit ihrer Ausstellung „Api Etoilé – ein nachwachsendes Archiv“ im vergangenen Jahr diesbezüglich Brücken gebaut: Sie hat Samen ausgestorbener Pflanzensorten archiviert und sorgt dafür, dass diese wieder sprießen.
Dass sich auf dem Stadtacker Menschen aus unterschiedlichen Kulturen treffen, findet Ferhat Can spannend. Der junge Türke musste sein Heimatland „aus politischen Gründen“ verlassen. Auf dem Esslinger Stadtacker lerne er nicht nur die deutsche Sprache. Beim gemeinsamen Hacken oder bei der Ernte komme man auch ins Gespräch. „Und nach einem langen Gartentag ist es schön, wenn wir zusammen etwas erreicht haben.“ Stolz schaut er da auf das Sonnendach, das die Gruppe gezimmert hat. Eine Sonne aus gelbem und rotem Stoff spendet Schatten. „Hier hat man immer etwas zu tun“, sagt Marion Bög, die zu Hause keinen Garten hat. „So habe ich die Gelegenheit, selbst Gemüse anzubauen und zu lernen, wie man das richtig macht.“ Die kommunikative junge Frau genießt den lockeren Kulturaustausch. Das geht auch Natalie Philipp so, die als Buchhalterin arbeitet. „Einfach mal weg vom Schreibtisch und in der Erde graben“ – das findet die Hobbygärtnerin spannend. Immer mittwochs und sonntags gärtnert die Gruppe. Danach wird gekocht: Nudeln mit Paprika und Zucchini und dazu frischer Salat. Rucola und Blattsalate kommen vom Stadtacker. Urban Gardening ist für Johanna Knoop auch ein gesellschaftspolitisches Konzept: „In Zeiten des Klimawandels geht es darum, Energie zu sparen.“
Das innovative Projekt im Merkelpark trägt bereits Früchte: In der Ritterstraße entsteht neben dem „Grünen Zimmer“ eine weitere grüne Oase, die alle mitgestalten dürfen, die wollen.
Weitere Informationen zu den Projekten gibt es unter www.villa-merkel.de