Dettingen. Ist es noch zeitgemäß, mit Kunst gegen das Unrecht zu kämpfen? Gar manches wird im Atelier produziert, was gut gemeint ist und eben deshalb als Kitsch endet. Wagt sich die künstlerische Darstellung an den Holocaust, wird die Frage umso dringlicher: Ist Kunst nicht selbst so verflochten mit Menschlichkeit und Zivilisation, dass sie am äußersten Punkt der Unmenschlichkeit unangebracht ist? Ist schon der Versuch einer künstlerischen Näherung ein Indiz, dass der Zivilisationsbruch verkannt wird?
Bei Wolfgang Hofmeister ist das anders. Er hält sich an die Materialität der Geschichte. Zentrale Arbeit seiner Ausstellung in der Galerie Diez ist eine Strichliste. Mit kalligrafischer Präzision führt der Künstler Buch. Nicht weniger als 780 000 Einträge hat er eigenhändig vermerkt. Das ist die Anzahl der Ermordeten, die dem Historiker Timothy Snyder zufolge im Vernichtungslager Treblinka starben. „Diese Angabe entzieht sich der Vorstellungskraft“, erläutert Hofmeister die Entstehung seiner Strichtafeln, „daher wollte ich wissen, wie diese Zahl aussieht“.
Konzipiert ist die Installation für die ehemalige Synagoge in Ichenhausen. Die erschlagende Quantität, die Hofmeister als grafischen Kraftakt vor Augen stellt, steht in frappierendem Kontrast zur Kürze einer zweiten Liste: Gerade einmal 396 Tage benötigte die Todesmaschine von Treblinka, um all diese Menschen zu verschlingen. Hofmeisters ästhetische Strategie geht auf: Die sinnfällig gemachte Diskrepanz teilt etwas mit von der Ungeheuerlichkeit, die dem industriellen Massenmord zugrunde liegt.
Im Raum der Galerie Diez spannt Hofmeister ein feines, aber eindringliches Netz an Verweisen. Nur konsequent, dass auch Paul Celan zu Wort kommt. Dem äußersten Entsetzen durch Schweigen Ausdruck zu verleihen, hatte Adorno als wesentliche Leistung der Lyrik Celans erkannt.
Kampf gegen den „Ungeist“
Hofmeister stellt nicht nur die Frage nach der Darstellung des Unsagbaren. Er zeigt auch Strategien auf, mit dem wieder erstarkenden Ungeist umzugehen. Seine sorgsam verpackten Buchobjekte sind mehr als eine Referenz auf die nationalsozialistischen Bücherverbrennungen. Sie sind ein Appell, Bücher zu bewahren. Dem Internet könne der Stecker gezogen werden. Als medialen Trägern von Wissen und Erkenntnis sei gedruckten Büchern hingegen nur schwer beizukommen: „Deshalb verbrennen Nazis Bücher“, sagt der Künstler.
Hofmeister hat bei Harry Walter und René Straub an der Freien Kunstakademie in Nürtingen studiert. Dass er zudem über profundes archäologisches Wissen verfügt, ist nicht zu übersehen. Die malerische Reflexion archaischer Mythen ist keine gefällige Zutat. In seinen Bildern betont Hofmeister die gemeinsamen Wurzeln aller Menschen. Wieder bringt er geschichtliche Fakten in Stellung: Die ästhetische Erkenntnis, dass Migration eine Konstante der Menschheitsgeschichte ist und der Ursprung menschlichen Erbgutes nach Afrika weist, legt die Axt an die Wurzel von Rassismus und Fremdenhass. Florian Stegmaier
Die Ausstellung „Einige Sachen von Wolfgang Hofmeister“ ist noch bis einschließlich 31. März in der Galerie Diez in der Kirchheimer Straße 85 in Dettingen zu sehen. Sie ist geöffnet samstags und sonntags jeweils von 15 bis 18 Uhr.