Zwischen Neckar und Alb
Lärmgutachten löst viel Wirbel um die geplante Abflugroute nach Mallorca aus

Flugroute Streit um Mehrbelastungen: Gegner und Befürworter des geplanten neuen Abflugkorridors interpretieren die Untersuchungen völlig unterschiedlich.
Von Elisabeth Maier und Harald Flößer

Für heftige Diskussionen sorgt das in Teilen bereits bekannt gewordene Gutachten zur geplanten neuen Abflugroute für den Flughafen Stuttgart: „Das war so nicht besprochen“, machte Wolfschlugens Bürgermeister Matthias Ruckh seinem Ärger Luft. Auch Nürtingens Oberbürgermeister Johannes Fridrich kritisierte das Verfahren: An der Debatte hätten die Bürger gleich intensiv beteiligt werden müssen.

15 000 Menschen hatten eine Petition gegen die neue Route unterschrieben, die für Flüge nach Mallorca genutzt werden soll. Für Frust bei den Gegnern sorgte am Montag die Information des Verkehrsministeriums, dass Deizisau und Altbach in die Fluglärmkommission aufgenommen werden. Beide Kommunen sind für die neue Route.

Matrohs betont Entlastung

Für Deizisaus Bürgermeister Thomas Matrohs liegen die Fakten auf der Hand: Das Gutachten weist nach, dass die Zahl der entlasteten Bürger höher ist als die Zahl der neu belasteten. Spür- und messbare Verbesserungen wird es vor allem in den als hochbelastet eingestuften Kommunen Denkendorf, Deizisau und Altbach geben, wo heute mehr als 20 Prozent der dort lebenden Menschen starkem Fluglärm ausgesetzt sind. Matrohs verweist auch auf den ökologischen Nutzen. Die deutlich kürzere Steigstrecke spart Kerosin und bringt pro Flug eine CO2-Einsparung von rund 200 Kilogramm. 

Eine differenzierte Betrachtung hält Ostfilderns OB Christof Bolay für notwendig. Das von der von ihm geleiteten Fluglärmkommission Stuttgart und dem Landesverkehrsministerium in Auftrag gegebene Gutachten untersucht die Veränderungen des Dauerschallpegels. Und da gibt es nur „Verschiebungen im Promillebereich“. Was die Einzelschall-Ereignisse angeht, ist jedoch in einzelnen Bereichen mit spürbaren Entlastungen zu rechnen. Bolay bleibt bei seinem Vorschlag, den neuen Flugkorridor Richtung Süden bei ein bis zwei Flügen pro Stunde in einem einjährigen Probebetrieb zu testen. Für dieses Vorgehen wird Bolay Anfang Mai in der Sitzung der Fluglärmkommission plädieren, wenn das Gremium seine Empfehlung an die Deutsche Flugsicherung und das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung abgeben wird.

Gegner fühlen sich bestätigt

Die Gegner sehen sich mit den ersten Ergebnissen des Gutachtens bestätigt. Nürtingens OB Fridrich wundert, dass Bolay als Vorsitzender der Fluglärmkommission das Lärmgutachten nun mit dem Satz „im Kern handelt es sich um Verschiebungen im Promillebereich“ kommentiert. „Zum einen wurde uns mitgeteilt, dass das Gutachten bis zur Sitzung der Fluglärmkommission nicht öffentlich zu behandeln sei, zum anderen war die Lärmentlastung von ursprünglich 90 000 Menschen das zentrale Argument.“ Da im Wesentlichen Klima- und Lärmschutzgründe ausscheiden, bleiben für ihn rein wirtschaftliche Erwägungen für die kürzere Route übrig. „Dies sollte man aber offen kommentieren.“

„Wir brauchen mehr Informationen“, findet Neuhausens Bürgermeister Ingo Hacker. Er will die Sitzung am 7. März abwarten und beim Gutachter kritisch nachhaken. Er überlegt, den Gutachter ins Gremium einzuladen.

Scharfe Kritik kommt von Rolf Keck-Michaeli, dem Sprecher der Bürgerinitiative „Vereint gegen Fluglärm“, die Kritiker aus Nürtingen, Neuhausen, Denkendorf, Wolfschlugen und Aichtal vereint: „Das Gutachten deckt auf, dass die neue Flugroute keine signifikanten Entlastungen für bisherige Lärm-Betroffene bringt.“ Daher vermutet Rolf Keck-Michaeli wirtschaftliche Gründe und fragt: Geht es etwa doch um eine Erweiterung der Flugkapazitäten am Flughafen durch die Hintertür?

„Das Fluglärmgutachten verharmlost die Folgen der geplanten Routenänderung“, urteilt die Schutzgemeinschaft Filder. Entscheidend für die Störwirkung ist der ständige Wechsel zwischen Ruhephasen und lauten Einzelschallereignissen, sagt der stellvertretende Vorsitzende Frank Distel. Zu erwarten ist, dass die Mehrbelastung über bisher ruhigeren Gebieten stärker wahrgenommen wird. Das gilt vor allem, weil das Gutachten die Hauptwindrichtung Ost, bei der hauptsächlich die verkürzte Flugroute geflogen wird, nicht betrachtet. Gerade bei Ostwind erhöht sich die Lärmbelastung besonders für Neuhausen spürbar.

Die errechnete CO2-Einsparung wird, so Distels Befürchtung, durch den steileren Abflugwinkel und die viel engere Flugkurve wahrscheinlich wieder kompensiert. Außerdem muss man die Relationen betrachten. Ein mit 100 Personen besetztes Passagierflugzeug verursacht auf dem Flug nach Mallorca mit fast 46 000 kg CO2 eine erhebliche Klimabelastung. Da wären 200 Kilo CO2 durch die Verkürzung der Abflugstrecke kein ausreichendes Argument für die Routenänderung.