Während Bauwillige ungeduldig auf die Erschließung des Wohngebiets „Lüxen“ in Brucken warten, halten es Naturschützer für Frevel, das idyllisch unterhalb des Gelben Felsens gelegene Gelände zu bebauen. Sie pochen auf den Erhalt eines Streuobstbestands von 25 Bäumen und sehen das Gesetz auf ihrer Seite. Dass das Gebiet anspruchsvoll ist, zeigte sich in zahlreichen Gemeinderatssitzungen. Entwässerung, Straßenführung und der steile Abfall des Geländes gehörten zu den für die Planer herausfordernden Punkten. Im vergangenen Sommer fasste das Ratsgremium schließlich den Satzungsbeschluss für den Bebauungsplan. Der berühmte „Knopf“ ist an der Sache deshalb
trotzdem nicht dran. Die Untere Naturschutzbehörde des Landkreises Esslingen hatte zwar eine Genehmigung erteilt. Ausgebremst wird das Projekt jedoch von einem Veto des Naturschutzbundes (Nabu). Er beruft sich auf einen im Juli 2020 eingeführten Paragrafen im Naturschutzgesetz Baden-Württemberg, der Streuobstwiesen besonders schützt. Landesweit hat der Nabu gegen Ausnahmegenehmigungen Widerspruch eingelegt. Eine Entscheidung darüber steht aus.
„Uns geht es darum, den Schutz der Streuobstwiesen so durchzusetzen, wie er im Gesetz vorgesehen ist“, sagt die Referentin für Klimaschutz, Energie und Verbandsbeteiligung des Nabu-Landesverbands Baden-Württemberg, Andrea Molkenthin-Keßler. Streuobst werde immer noch sehr leichtfertig vernichtet. Der Nabu wolle einen Standard, der klärt, wie der Bedarf für Wohnbebauung nachzuweisen ist und wann er schwerer wiegt als das öffentliche Interesse am Erhalt von Streuobstbeständen. „Wir streben an, das gerichtlich zu klären“, sagt Andrea Molkenthin-Keßler. Wann das der Fall sein werde, sei offen.
Mit seinen Widersprüchen wendet sich der Nabu an die Landkreise, die die Genehmigungen erteilen. „Wir wollen aber auch bei den Kommunen mehr Bewusstsein für den Erhalt der Streuobstwiesen bei der Aufstellung von Bebauungsplänen erreichen“, so die Referentin. Abgesehen vom „Lüxen“ in Brucken und „Schießhütte“ in Neidlingen gehe es im Kreis Esslingen noch um Baugebiete in Beuren und Oberboihingen.
Dass die teils sehr knorrigen, nicht mehr gepflegten Bäume am Bruckener Ortsrand keinen großen Ertrag mehr bringen, lässt Andrea Molkenthin-Keßler nicht gelten. „Obstbäume im Alter sind oft besonders wertvoll. Baumhöhlen und Rindenabspaltungen etwa bieten Lebensräume beispielsweise für zahlreiche Käfer und Fledermäuse“, erläutert sie. Das ist auch der Grund, warum der Ausgleich, den beispielsweise die Gemeinde Neidlingen bereits geschaffen hat und den Lenningen noch liefern wird, den Nabu nicht besänftigt. „Neu gepflanzte Bäume brauchen sehr lange, bis sie den ökologischen Wert eines alten Baumes erreichen“, so Andrea Molkenthin-Keßler, die ankündigt, deshalb auch die „Schießhütte“ nicht einfach durchzuwinken.
Auch dass sich die Rechtslage erst im laufenden Bebauungsplanverfahren zum „Lüxen“ geändert hat, spiele keine Rolle. Den Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan hatte die Gemeinde Lenningen im Dezember 2019 gefasst. Der Paragraf 33a des Naturschutzgesetzes wurde erst im Juli 2020 eingeführt. Laut Umweltministerium gelte das Gesetz aber auch für bereits laufende Bebauungsplanverfahren, sagt Andrea Molkenthin-Keßler dazu.
Im Zusammenhang mit dem Verfahren hatte Samuel Kick in seiner Funktion als Vorsitzender des BUND Lenningen und Umgebung im Januar dieses Jahres ebenfalls „vorsorglich Einspruch“ erhoben. Schon 2017 hatte sich eine zehnköpfige Bürgerinitiative gegründet, die das Baugebiet „Lüxen“ grundsätzlich infrage stellte. Die BI, der auch Samuel Kick angehörte, verwies damals unter anderem auf die ortsnahen Streuobstwiesen mit ihrer schützenswerten Fauna und Flora. Einschneidend ist für ihn ein lange zurückliegendes Erlebnis: Damals bekam er mit, wie in einer anderen Kommune auf einen Schlag gut 50 Bäume gefällt wurden und mehrere Starenpaare deshalb herzzerreißend klagten. Für Samuel Kick stellt sich die Frage, was ein Gesetz für einen Sinn macht, wenn es nicht eingehalten wird. Das Scheufelen-Areal und andere Gebiete wie „Mühläcker“ oder „Ailen“ ließen sich seiner Ansicht nach mit einem viel geringeren Eingriff in die Natur in Bauland umwandeln.
Das sieht Lenningens Bürgermeister Michael Schlecht indes völlig anders. Durch die „Mühläcker“ etwa werde der neue Feldweg verlaufen, nachdem die Bahn den alten gekappt habe. Da „jwd“ habe das nichts mit einer vernünftigen baulichen Arrondierung zu tun, und es gebe dort keine Erschließungsoption. Der „Ailen“ wiederum sei aus dem Flächennutzungsplan herausgenommen worden. Die Zahl der Bauplätze stünde dort in keinem Verhältnis zu den Erschließungskosten.
Gemeinde schafft Ausgleich
Ebenfalls kein Verständnis hat Michael Schlecht für den Widerspruch des Nabu. Die kleine Streuobstfläche im „Lüxen“ habe keine wesentliche Bedeutung für die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder den Erhalt der Artenvielfalt. Ein Fachbüro habe nachgewiesen, dass die Bäume Tieren nicht als dauerhaftes Quartier dienten. „Die Möglichkeit einer gelegentlichen Nutzung kann aber doch nicht dazu führen, dass dauerhaft alles blockiert wird“, so der Rathauschef. Er verweist darauf, dass die Gemeinde als Ausgleich mindestens 25 hochstämmige Streuobstbäume pflanzen wird. Die neu anzulegende Fläche sei nur 500 Meter vom geplanten Wohngebiet entfernt. Im Gegensatz zu den entfallenden Streuobstflächen, die sich in vier Bereiche aufteilen, würde mit den großen Beständen hinter dem „Bühl“ eine zusammenhängende Streuobstfläche entstehen.
Zahlreiche Fälle in Baden-Württemberg
Der Erhalt von Streuobstbeständen ist seit Juli 2020 im Paragraf 33a des Naturschutzgesetzes Baden-Württemberg geregelt. Es besagt, dass Streuobstbestände, die eine Mindestfläche von 1500 Quadratmetern umfassen, zu erhalten sind. Sie dürfen nur mit Genehmigung in eine andere Nutzungsart umgewandelt werden. „Die Genehmigung soll versagt werden, wenn die Erhaltung des Streuobstbestandes im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt, insbesondere wenn der Streuobstbestand für die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder für den Erhalt der Artenvielfalt von wesentlicher Bedeutung ist. Maßnahmen der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung und Nutzung sowie Pflegemaßnahmen sind keine Umwandlung“, heißt es wörtlich in dem Gesetz. Umwandlungen von Streuobstbeständen sind auszugleichen. Der Ausgleich erfolgt vorrangig durch eine Neupflanzung innerhalb einer angemessenen Frist.
Der Nabu-Landesverband hat daraufhin im November 2020 alle Landratsämter in Baden-Württemberg aufgefordert, ihm die von ihnen erteilten Genehmigungen zuzusenden. Wo der Nabu zum Ergebnis kam, dass die Vorschriften nicht erfüllt waren, legte er Widerspruch ein. Inzwischen bekommt der Naturschutzbund jeden Antrag aus den Landratsämtern zur Stellungnahme zugesandt.
Die Anträge und Streuobstflächen, die seit Juli 2020 in Baden-Württemberg zur Umwandlung genehmigt wurden, belaufen sich laut Nabu auf mehr als 100, darunter liegen zehn im Landkreis Esslingen. Mehr Fälle gab es lediglich in den Landkreisen Calw und Göppingen. Im Kreis Esslingen ist in diesem Jahr kein neuer Fall dazugekommen. ank