Zwischen Neckar und Alb
„Land unter“ im Wartezimmer

Gesundheit Der Kreis kränkelt. Hauptsächlich Schuld daran ist die starke Grippewelle. Im Kreis Esslingen sind bislang drei Menschen an der Influenza gestorben, in Baden-Württemberg insgesamt 37 Patienten. Von Claudia Bitzer

Das ist Rainer Graneis in seinen fast 30 Berufsjahren nicht oft passiert: Wenn er und seine Kolleginnen abends die Gemeinschaftspraxis in Nellingen verlassen, haben sie jeden Tag eine dreistellige Anzahl von Patienten mit einer Grippe oder einem grippalen Infekt verarztet. Für Letzteren sind zwar andere Viren als die Influenza-Erreger verantwortlich, die Symptome gleichen sich jedoch: hohes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit und Husten. Ob sein Patient nun eine richtige Influenza oder „nur“ einen grippalen Infekt hat, ist für den Vorsitzenden der Kreisärzteschaft Esslingen zweitrangig: „Wir testen nur in begründeten Fällen, ob es sich um eine Grippe handelt und welcher Erreger sie ausgelöst hat. Zumal sich die Therapie der beiden Erkrankungen bei Menschen ohne gesundheitliche Vorbelastungen oder Risiken auch nicht groß unterscheidet.“

Von daher sind die Grippezahlen, die den Gesundheitsämtern gemeldet werden, „nur die Spitze des Eisbergs“, wie Angela Corea, Ärztin im Gesundheitsamt des Landkreises Esslingen, richtig stellt. Weist ein Labor einen Grippe-Erreger nach, muss das gemeldet werden. „Aber es wird nur bei einem kleinen Teil von Patienten eine Influenza-Diagnostik veranlasst“, heißt es auch aus dem Landesgesundheitsamt in Stuttgart.

Aus Sicht der Experten sprechen die Meldezahlen jedenfalls für eine starke Grippewelle, vergleichbar mit der im vergangenen Jahr. Allein im Kreis hat sie bereits drei Todesopfer gefordert. Landesweit sind bislang 37 Menschen in Folge der Influenza-Infektion gestorben, darunter zwei Kinder. Allein im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 20. Februar wurden 481 Grippefälle im Kreis gemeldet, darunter zwei Häufungen in Altenheimen. Rund 65 Prozent dieser Grippefälle sind hervorgerufen durch bestimmte Erreger des Typus B. Das hatte in den vergangenen Tagen auch für Aufsehen gesorgt, weil es Zweifel an der Wirksamkeit des Impfstoffs mit seinem Dreifachwirkstoff gab. Jüngsten Äußerungen aus dem Robert-Koch-Institut zufolge habe er jedoch eine Wirksamkeit von 46 Prozent - bei einer üblichen Schwankungsbreite zwischen 20 und 60 Prozent kein schlechter Wert. Nur bei chronisch Kranken hat die Kasse bislang die Kosten für den teureren Vierfachwirkstoff übernommen, mit dem auch die B-Erreger besser bekämpft werden können.

Bisheriger Höhepunkt der Grippewelle war die vergangene Faschingswoche mit kreisweit 125 gemeldeten Neuerkrankungen. Nimmt man die Anzahl der stationär in den Kliniken untergebrachten Grippe-Patienten als Indikator für die Schwere der Krankheit, zeichnet sich im Kreis Esslingen jedoch ein unterschiedliches Bild. Simone Busch, Gastroenterologin und Infektologin in der Medius-Klinik Ruit, hat zwar keine genauen Zahlen. Gefühlt teilt sie jedoch die Einschätzung der Kollegen aus der Hausarztpraxis und aus dem Gesundheitsamt: „Wir hatten letztes Jahr viele Grippefälle, und dieses Jahr sind es noch mehr.“ Im Gegensatz dazu haben im Esslinger Krankenhaus zwischen 1. Januar und 20. Februar „nur“ 25 Menschen mit einem positiven Grippe-Labortest gelegen. Im Jahr davor waren es 82 Fälle, berichtet Jürgen Maier, Leiter der Hygienekommission im Esslinger Klinikum.

Angela Corea vermutet, dass der Scheitelpunkt der Krankheitswelle erst in ein, zwei Wochen erreicht wird. Wissen kann man es freilich nicht, doch auch das Landesgesundheitsamt geht in den nächsten Wochen noch von einer „erhöhten Influenza-Aktivität“ aus. Sie raten daher weiterhin zur Impfung, wobei die Kassen den Vierfachwirkstoff nach wie vor nur für Hochrisikopatienten übernehmen. Ob und welche Impfung für den Einzelnen noch sinnvoll ist, solle man aber mit seinem Hausarzt abklären, meint Corea. Hat man bereits den Dreifach-Impfstoff im Körper, ist das Robert-Koch-Institut in Berlin zumindest bei Nicht-Risiko-Patienten eher zurückhaltend mit dem Nachimpfen.