Ohne Bus und Bahn geht wenig. Im Schulverkehr und auf dem Weg zur Arbeit ohnehin, aber auch beim Thema Mobilitätswende, dem im Kampf gegen den Klimakollaps eine Schlüsselrolle zukommt. Darüber sind sich nicht nur Wissenschaftler und Umweltverbände einig, sondern auch die Fraktionen im Esslinger Kreistag. Wenn es darum geht, den öffentlichen Nahverkehr sicher durch die Pandemie zu lotsen, verfolgen
alle politischen Lager eine gemeinsame Linie. Insolvenzen zu riskieren, bestehende Strukturen aufs Spiel zu setzen, käme den Kreis auf lange Sicht deutlich teurer als jede Soforthilfe, so die feste Überzeugung. Der Kreistag hat deshalb einhellig einer Verlängerung der Zahlungen aus dem ÖPNV-Rettungsschirm bis Ende 2022 zugestimmt. Getragen von der Hoffnung, dass Bund und Land mitziehen, die im laufenden Jahr insgesamt rund 480 Millionen Euro zur Rettung der Verkehrsbetriebe in Baden-Württemberg zur Verfügung gestellt haben. Wie es weitergeht, ist im Moment noch unklar.
Fest steht: Der öffentliche Nahverkehr bekommt die Auswirkungen der Corona-Pandemie mit aller Macht zu spüren. Weniger Fahrgäste, mehr Aufwand, macht unterm Strich ein dickes Minus. Um knapp 40 Prozent sind den Betrieben im Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) im laufenden Jahr Einnahmen weggebrochen. Dass sich mit Beginn der ab Januar geplanten Impfungen rasch zur Tagesordnung übergehen lässt, damit rechnet niemand. Der VVS plant auch für 2021 mit einem Umsatzverlust von 20 Prozent im Vergleich mit Vor-Corona-Zeiten. Erst 2023 erwarten die Verkehrsunternehmen, dass sich die Lage normalisiert. Sollten sich die wirtschaftlichen Prognosen bewahrheiten und gleichzeitig Bund und Land nicht mitziehen, hätte der Kreis Esslingen als einer von dann fünf Verbundlandkreisen (der Kreis Göppingen ist ab 1. Januar Mitglied im VVS) im kommenden Jahr Verluste von rund fünf Millionen Euro auszugleichen. Für den Esslinger Landrat ist die Rückendeckung durch den Kreistag wichtig: „Damit sind wir handlungsfähig für den Fall der Fälle,“ betont Heinz Eininger.
Bisherige Hilfen laufen aus
In einem ersten Schritt wollen die Verbundpartner in Verhandlungen mit dem Verkehrsministerium nun erreichen, dass nicht abgerufenes Geld aus dem seitherigen Rettungsschirm ins neue Jahr übertragen wird. Gleichzeitig ist man sich einig, dass dies zur Stützung der Betriebe nur für wenige Monate reichen dürfte. Es bestehe zwar die Hoffnung, dass auch Bund und Land die Busunternehmen nicht im Regen stehen lassen würden, begründete Armin Elbl (Freie Wähler) im Kreistag die Finanzierungszusage. „Wenn dies nicht der Fall sein sollte, können wir nur so sicherstellen, dass wir das ausgeklügelte Busliniennetz im Kreis auch nach Corona noch vorfinden.“ Dass ohne die Busunternehmen jeder noch so gut entwickelte Nahverkehrsplan nur ein „Papiertiger“ sei, stellte CDU-Fraktionschef Sieghart Friz fest und sein SPD-Kollege Michael Medla unterstrich die Bedeutung der Betriebe für die Klimapolitik: „Ohne sie scheitert die Mobilitätswende, noch bevor sie beginnt.“
Der Beschluss soll beiden Seiten nun für zwei Jahre vertraglich Sicherheit bieten, denn Unternehmen, die sich jetzt für den Rettungsschirm entscheiden, müssen liefern. Eine Ausstiegsklausel gibt es nicht. Gleichzeitig sichert der Landkreis den vollen Ausgleich der Verluste zu. Darin eingerechnet auch Tariferhöhungen und ein bereits einkalkulierter Fahrgastzuwachs von zwei Prozent. Dies allerdings einmalig und nur im kommenden Jahr.
28 Prozent der Verluste entfallen auf den Landkreis
Der VVS bedient im Nahverkehr in der Region Stuttgart ein Gebiet mit 2,4 Millionen Bewohnern. Verbundpartner sind neben der Landeshauptstadt Stuttgart die Landkreise Ludwigsburg, Esslingen, Böblingen und Rems-Murr. Ab 1. Januar ist auch der Kreis Göppingen mit seinen 255 000 Einwohnern Mitglied im VVS.
Die Verlustebei den Einnahmen durch die Corona-Pandemie sind umso höher, je mehr stark frequentierte Buslinien ein Landkreis im Angebot hat. Von den 77,4 Millionen Euro Einnahmen durch den Ticketverkauf in allen vier Verbundlandkreisen entfielen auf den Kreis Esslingen mit mehr als einer halben Million Einwohnern zuletzt 22,3 Millionen Euro oder 28,8 Prozent.
Von den für 2021 geschätzten Einnahmeverlusten hätte der Kreis Esslingen nach seinem Einwohneranteil mit 28,2 Prozent knapp hinter dem Kreis Ludwigsburg (28,7 Prozent) mit den größten Anteil zu tragen. Die Kreisverwaltung rechnet mit tatsächlichen Verlusten in Höhe von fünf Millionen Euro. Im Haushalt eingeplant sind bisher 1,2 Millionen Euro. bk