Weilheim · Lenningen · Umland
Landrat Eininger beklagt: Personal fehlt quer durch alle Bereiche

Interview Der demographische Wandel stellt eine Gefahr für das Gemeinwesen dar, sagt der Esslinger Landrat Heinz Eininger. In der Kreisverwaltung sind schon jetzt acht Prozent dringend benötigter Stellen nicht zu besetzen. Von Bernd Köble

Die Kreisverwaltung ist mit rund 2500 Beschäftigten im Öffentlichen Dienst einer der größten Arbeitgeber im Kreis Esslingen. Im Landratsamt wird entschieden, wo und wie gebaut wird, wer welche soziale Unterstützung benötigt, was die Wirtschaft am Laufen hält oder welcher Teil der Natur besonders schützenswert ist. Auch die Instandhaltung des Kreisstraßennetzes ist eine Aufgabe der Behörde. Doch der fehlt es zunehmend an Personal. Der Esslinger Landrat Heinz Eininger als oberster Dienstherr warnt schon länger vor einer Gefahr für das Gemeinwesen.

Herr Eininger, haben Sie schon mal nachgerechnet, wieviele Überstunden Ihre Mitarbeiter vor sich herschieben?

Heinz Eininger: Überstunden sind nicht der Maßstab, weil die bei uns ja abgefeiert werden können. Der Maßstab ist, was wir an nicht besetzten Stellen haben.

Nennen Sie eine Zahl.

Eininger: Im Moment sind das rund 150. Das ist etwas mehr als acht Prozent der Vollstellen, die nicht besetzt sind. Das ist eine Größenordnung, die uns Gedanken machen muss. Das Personal fehlt quer durch die Verwaltung, insbesondere auch beim Rückgrat, dem gehobenen Verwaltungsdienst.

In welchen Bereichen bekommen das die Bürgerinnen und Bürger im Kreis zu spüren? Bei den Auszahlungen nach der Wohngeldreform, so war vor Weihnachten zu hören, hinken fast alle Bundesländer massiv hinterher.

Was das Wohngeld betrifft haben wir Glück. Da werden wir alle fünf Stellen im März besetzt haben. Auf der anderen Seite tun wir uns im Betreuungsrecht schwer, Personal zu gewinnen. Durchgängig schwierig sind auch die technischen Bereiche, wo wir in Konkurrenz zur Privatwirtschaft stehen.

Wenn die Babyboomer-Generation in Ruhestand geht, wird sich die Lage dramatisch zuspitzen. Haben Sie einen Überblick, wieviele Stellen dadurch in naher Zukunft neu zu besetzen sein werden?

In den nächsten zehn Jahren wird sich etwa ein Drittel unserer Beschäftigten in den Ruhestand verabschieden. Da zeigt sich jetzt deutlich, wovor wir schon immer gewarnt haben. Dass der demographische Wandel in allen Lebensbereichen handfest greifbar wird. Wenn sich ab dem Jahrgang 1964 ziemlich schlagartig die Geburtsjahrgänge halbieren, dann heißt das, wenn ich zwei Stellen neu zu besetzen habe, ist nur ein Bewerber dafür geboren. Ganz abgesehen von der Frage, ob ich den überhaupt bekomme. Für künftige Aufgaben fehlt uns schlicht das Personal.

Bei Lehrern und Polizisten erlebt man das gleiche. Tut sich der Öffentliche Dienst schwer mit langfristiger Stellenplanung?

Das sehe ich nicht. Wir sind seit Jahren dabei, Personalgewinnung und auch -bindung zu optimieren. Das sind für uns zentrale Handlungsfelder. Wir haben eine Werbeagentur, mit der wir verstärkt digital unterwegs sind und zielgruppenorientiert arbeiten. Wir legen in spezielllen Programmen großen Wert auf die Entwicklung von Führungskräften, und wir bilden aus, so viel wie noch nie.

Hat die Verwaltung im Vergleich zur Wirtschaft ein Imageproblem?

Ich glaube, dass der Öffentliche Dienst nach wie vor attraktiv ist. Der Arbeitsplatz ist sicher, egal ob für Beamte oder Angestellte. Wir haben gute Karrieremöglichkeiten, und wir bieten sinnerfüllende Tätigkeiten, bei denen es darum geht, anderen Menschen zu helfen. Das sind nach wie vor gute Argumente. Wenn wir im Gehaltsgefüge zurückliegen, dann hauptsächlich in den technischen Disziplinen. Bei Bauingenieuren oder IT-Fachkräften spüren wir am deutlichsten einen Abwerbungsdruck. Es ist aber immer so: Wenn die Wirtschaft boomt, sind angeblich alle dumm, die in den Öffentlichen Dienst gehen. Wenn die Wirtschaft stagniert, ist es der sichere Hafen.

Trotzdem scheint es so, als habe sich die öffentliche Verwaltung auf einem umkämpften Arbeitsmarkt von der Privatwirtschaft abhängen lassen. Man gewinnt den Eindruck, die Industrie sorgt für fünfstellige Sonderzahlungen und Work-Life-Balance, während der Staat seinen Beschäftigten Jobtickets anbietet.

Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir viel tun, um unsere Arbeitsplätze attraktiv zu gestalten. Wir haben in Coronazeiten sehr kurzfristig über 2000 VPN-Anschlüsse fürs Homeoffice und für mobiles Arbeiten geschaffen. Wir sind da extrem großzügig, auch bei der Gestaltung der Arbeitszeit. Es gibt bei uns über hundert verschiedene Arbeitszeitmodelle, mit denen wir auf die Wünsche der Belegschaft eingehen. Auf der anderen Seite müssen wir in vielen Bereichen auch Öffnungszeiten gewährleisten. Nehmen Sie unsere vielen sozialen Beratungsangebote. Das geht nun mal nicht im Homeoffice. Auch die Straße wird im Winter nicht im Homeoffice gestreut. Wenn Sie über Prämien reden, das ist zum Beispiel etwas, was das Landesbesoldungsrecht nur ganz beschränkt zulässt. Etwa durch leistungsorientierte Bezahlung. Das reizen wir vollständig aus.

In der laufenden Tarifrunde liegen Forderungen nach zweistelligem Gehaltszuwachs auf dem Tisch. Können sich die kommunalen Arbeitgeber die üblichen Machtkämpfe im Tarifstreit überhaupt noch leisten?

Ich gehe davon aus, dass man mit Maß und Mitte in den Verhandlungen unterwegs ist. Was dabei herauskommt, werden wir tragen müssen. Wenn wir als Landkreisverwaltung das, was bis jetzt an Forderungen auf dem Tisch liegt, umsetzen müssten, dann wären das mehr als sieben Millionen Euro an Defizit im Haushalt.

Blickt man nur zehn Jahre zurück, da hieß das Schlagwort schlanke Verwaltung mit heftigen Debatten um jede neue Stelle. War das zu kurzsichtig?

Kurzsichtig möchte ich nicht sagen, aber wir erleben im Moment schon einen Paradigmenwechsel. Wir haben keinen Angebotsmarkt mehr, auf dem wir unter fünf Bewerbern den Besten aussuchen können, sondern eine Umkehr. Die Verwaltungen konkurrieren zunehmend untereinander. Im Ballungsraum wie hier im Kreis ist es schon so, dass wir uns auch gegenseitig kannibalisieren. Wenn ich höre, dass bei Abwerbeversuchen Prämien in Aussicht gestellt werden, ist das ein Weg, den ich nicht gutheiße und der am Ende auch nicht zielführend sein wird.

Aus welchem Grund?

Wir als Verwaltung können uns unsere Aufgaben ja nicht aussuchen. Es sind die, die uns der Gesetzgeber stellt. Wenn Personal beispielsweise im Landratsamt fehlt und dafür bei der Stadt Esslingen da ist, reichen wir das Problem nur reihum.

Wir sehen zwei gegenläufige Entwicklungen. Auf der einen Seite fehlt immer mehr Personal, auf der anderen Seite kommen vom Gesetzgeber immer neue Aufgaben auf die Verwaltungen zu. Gleichzeitig wird der Ruf nach Bürokratieabbau immer lauter. Wie passt das alles zusammen?

Da ist die Lernkurve des Gesetzgebers gering. Alllein was wir in jüngster Zeit entgegen aller Lippenbekenntnisse aufgetischt bekommen haben, ist gewaltig: Bundesteilhabegesetz, Bürgergeld, Wohngeld, stetig steigende Fallzahlen bei Gefüchteten. Das fordert uns alle massiv heraus. Nicht die Bürokraten schaffen die Bürokratie. Sie entsteht dadurch, dass man immer wieder neue Gerechtigkeitsfragen und damit neue Aufgaben kreiert. Dinge werden meist schon in Berlin in einer Kurzatmigkeit beschlossen, die die Verwaltungen ausbaden müssen. Da beißen immer den Letzten die Hunde. Dazu kommt: Wir müssen unser Personal zielgenau für die Zukunftsaufgaben einsetzen und nicht Kontroll- und Dokumentationspflichten immer stärker in den Vordergrund rücken. Nur ein Beispiel: Wir hatten im Ausländeramt vor nicht allzu langer Zeit 25 Stellen. Heute sind es nahezu 60. Als ich ins Amt kam im Jahr 2000 hatten wir 80 Sozialarbeiterstellen im Kreis. Heute sind es 280. Sie sehen, da kommen wir irgendwann an einen Punkt, wo das weder leistbar noch mehr finanzierbar sein wird.

Was kann Digitalisierung leisten und was nicht?

Wenn der Prozess heute schon umständlich ist, dann wird er durch Digitalisierung nicht einfacher. Für den Kunden heißt das zwar, man kann Dinge 24 Stunden von zuhause aus erledigen. Chat-Bots können aber persönliche Beratung, vor allem wenn es um Menschen geht, die gesellschaftlich am Rand stehen, nicht ersetzen. Wir als Verwaltung müssen alle Kanäle bespielen. Das macht die Sache nicht einfacher. Dazu kommt: Digitalisierung ist im Moment eine Aufgabe, die wir mit vorhandenem Personal zusätzlich zum Tagesgeschäft bewerkstelligen müssen.

Antragsteller sind auf Behörden selten gut zu sprechen. Bekommen Ihre Mitarbeiter heute mehr ab als in der Vergangenheit?

Ich glaube nicht, dass sich dieses Meinungsbild dramatisch verschlechtert hat, aber es ist schon so, dass Bürger ihre Sorgen und ihren Ärger bei denen abladen, die für sie greifbar sind. Wir bekommen es natürlich ab, wenn Verfahren lange dauern und man für alles und jegliches noch ein zweites Gutachten braucht. Ich möchte nicht sagen, dass wir fehlerfrei sind, an manchen Stellen sind auch Prozesse zu umständlich. Aber das Bemühen, Dinge sachgerecht und zügig umzusetzen – das nehme ich für meine Mitarbeiter in Anspruch – ist ungemein groß.