Im Baugewerbe ist es Brauch, der Nachwelt eine Botschaft zu hinterlassen. Eine kupferne Kapsel, prall gefüllt mit Dokumenten aus einer Zeit, als der Bundeskanzler Olaf Scholz hieß, der Doppelzentner Weizen 24 Euro und die Arbeitsstunde eines Facharbeiters etwa das Doppelte kostete. Fest verschlossen und tief eingemauert in der Außenwand des künftigen Sitzungssaals des Esslinger Kreistags. Dort, wo zur Stunde noch roher Baustahl in der Sonne glüht. Was künftige Generationen davon halten werden, sollten ihnen Zeitungsausschnitte, Baupläne und Urkunden samt einer Auswahl aktuellen Münzgelds und eines alten, ausgedienten Diensthandys eines Tages in die Hände fallen – keiner weiß es.
Am Freitag waren die Meinungen ungeteilt. Bei der Grundsteinlegung für das neue Landratsamt in den Esslinger Pulverwiesen passte die Stimmung unter den Feiergästen aus Landes- und Kreispolitik zum sonnigen Wetter. Eine historische Stunde, die zudem pünktlich schlug. Das Verdienst schwitzender Bauarbeiter, die zehn Meter tiefer unbeeindruckt ihrem
Handwerk nachgingen, während droben die Feiergäste den besonderen Moment hervorhoben. Elf Jahre kommunalpolitische Kärrnerarbeit und die Streitdebatte über die Wirtschaftlichkeit eines mehr als 140 Millionen Euro teuren Neubaus sind inzwischen vergessen. „Wir verwirklichen ein äußerst wirtschaftliches Bauprojekt, das höchste Ansprüche an Ästhetik, Nachhaltigkeit und Qualität erfüllt“, betonte der Esslinger Landrat Heinz Eininger in seiner Rede.
Mit dem geplanten Einzug der Mitarbeiter in den Neubau in Esslingen soll 2026 die lange Odysee der Kreisverwaltung enden. Die Dependance auf dem Plochinger Stumpenhof ist inzwischen bezogen, doch noch immer ist eine große Schar Beschäftigter in Interimsbüros über das Esslinger Stadtgebiet verteilt. Eininger, der seinen Arbeitsplatz zurzeit im Dachgeschoss des Stammhauses der Kreissparkasse in der Esslinger Bahnhofstraße hat, wird das neue Büro des Behördenchefs nicht mehr beziehen. Die Amtszeit des heute 66-Jährigen endet am 30. September 2024. Ende März hatte er verkündet, bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten zu wollen.
Dass das, was aus der gewaltigen Baugrube zwischen Merkelpark und Neckar in den Himmel wächst, in die Zeit passt, ist ein Aspekt, den Bauherrschaft und Bauexperten gemeinsam betonen. Mehr als 90 Prozent des Abbruchmaterials aus dem Altbau wurden aufbereitet und werden wiederverwertet. Nicht irgendwo, sondern in Kirchheim nahe der Autobahn, 20 Kilometer von der Baustelle entfernt. Der Mann dahinter war am Freitag unter den Gästen und sitzt für die Freien Wähler im Kreistag: Walter Feeß gilt bundesweit als der Pionier des Baustoff-Recyclings. Der 68-jährige Bauunternehmer aus Kirchheim ist derzeit der gefragteste Ansprechpartner für die Politik in Berlin und Stuttgart, wenn es um das Thema geht. Schließlich sorgt die Bauwirtschaft hierzulande für 40 Prozent des gesamten Co²-Ausstoßes.
„Wir tragen Verantwortung. Deshalb darf es kein Weiter-so geben“, stellte auch Stephan von der Heyde, Vorstandsmitglied beim Stuttgarter Generalunternehmen Züblin, fest. Der Neubau des Landratsamtes, der 2026 bezugsfertig sein soll, setzt aus seiner Sicht „Maßstäbe für kreislaufgerechtes Bauen“. Der Beton, der dort verbaut wird, stammt größtenteils aus recycelten Baustoffen. Für ein grünes Label sorgen zudem Photovoltaik und von Neckarwasser gespeiste Wärmepumpen.
Zahlen und Fakten zum neuen Landratsamt
143,4 Millionen Euro wird der Neubau in den Esslinger Pulverwiesen nach heutigen Schätzungen kosten.
34 700 Quadratmeter misst die Grundfläche des Gebäudes, das einer liegenden Acht gleicht.
14 000 Tonnen Recyclingbeton flossen in die ein Meter dicke Bodenplatte.
675 Beschäftigte finden im neuen Verwaltungsgebäude einen Arbeitsplatz.
2 500 Arbeitskräfte gehören zur Kernverwaltung des Landkreises Esslingen.
90 Prozent des Abbruchmaterials wurden aufbereitet und wird als Baumaterial wiederverwendet.
2026 ist der Bezug des Neubaus geplant.
11 Jahre dauerte es von der Erstellung einer Machbarkeitsstudie bis zum Beginn der Abbrucharbeiten. bk