Weilheim · Lenningen · Umland
Landwirte legen Europastraße lahm

Protest 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen zu der Kundgebung am Mittwoch. Mit Schubkarren, Strohballen und einem Ochsen machten die Bauern ihrem Ärger Luft. Von Matthäus Klemke

Mithilfe einer Sackkarre schiebt ein Mann einen großen Sack durch die Menschenmenge an der Ecke Europastraße und Mühlstraße. „Vorsicht! Ich hab’ Weizen!“, ruft er den Leuten vor ihm zu und stellt den Karren schließlich mit einem lauten Knall vor der Außenstelle des Landratsamtes ab. Da stehen schon zahlreiche Schubkarren und Bollerwagen vollgepackt mit Eiern, Kartoffeln und Milchkannen. Auch Strohballen liegen vor der Kfz-Zulassungsstelle.

 

Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem Landwirtschaft bald unmöglich sein wird.
Siegfried Nägele
Vorsitzender des Kreisbauernverbands Esslingen

 

„Wir können Schlepper fahren, aber heute zeigen wir, dass wir auch andere Geräte beherrschen“, sagt Siegfried Nägele, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Esslingen. Schlepper waren bei der Kundgebung der Landwirte am Mittwoch ausdrücklich nicht erwünscht, ausgenommen natürlich die Spielzeugtraktoren, auf denen die jüngsten Protestler angefahren kamen und zwei große Trecker, die mit Protestschildern und einem überlaufenden Fass bestückt wurden.

Europastraße und Stadtbrücke dicht

Pünktlich um 13 Uhr ist die Straße für den Autoverkehr gesperrt. Kurzfristig haben sich Polizei und Ordnungsamt entschieden, doch die komplette Europastraße und dazu noch die Stadtbrücke dichtzumachen. Zu dynamisch sei die Entwicklung. Gegen 13.30 Uhr haben sich rund 300 Landwirte und Bürger auf der Straße versammelt, um gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung zu protestieren.

Es gehe nicht mehr nur um die Subventionen für den Agrardiesel, die man den Landwirten schrittweise streichen möchte, sagt Michael Gscheidle aus Nürtingen: „Es ist eine Gesamtunzufriedenheit.“ Hauptberuflich arbeitet er für die Universität Hohenheim, Landwirt zu sein, sei seine Berufung. 2021 hat der 29-Jährige einen Betrieb in Reudern übernommen. „Aber ich überlege häufig, ob es noch Sinn ergibt weiterzumachen.“ Junge Landwirte wie er bräuchten Planungssicherheit. „Man muss seinen Betrieb über Jahrzehnte ausrichten.“ Mit ständig neuen Vorgaben und Einschränkungen sei das nicht möglich. „Wir benötigen eine verlässliche Agrarpolitik“, fordert er.

Wichtig, etwas an die Kinder weitergeben zu können

Es sind einige junge Vertreter ihrer Branche zu der Mahnwache gekommen, darunter auch Emily Schröder aus Schlaitdorf. Zur Unterstützung hat sie ihren Ochsen Freddy mitgebracht. Schröder hat vor zwei Jahren ihre Ausbildung zur Landwirtin abgeschlossen. „Wir wollen für unsere Zukunft kämpfen“, sagt sie deutlich. Ihre Familie hat einen 130 Hektar großen Hof in Schlaitdorf. „Der wurde über Generationen aufgebaut.“ Nun sieht sie die Zukunft des Familienbetriebs gefährdet. „Auch ich möchte etwas an meine Kinder weitergeben.“ Trotz der Zugeständnisse der Bundesregierung in der vergangenen Woche möchte sie weiter auf die Straße gehen: „Das bringt gar nichts“, sagt sie über den Rückzieher aus Berlin. „Entweder sie nehmen alles zurück oder sie überlegen sich etwas ganz anderes.“ Emily Schröder möchte aber nicht nur der Regierung auf die Finger klopfen, sondern appelliert auch an die Bevölkerung: „Ein Hof ernährt 145 Bürger. Wenn die Preise für unsere Produkte angemessen wären, bräuchten wir auch keine Subventionen.“ Sie wünscht sich mehr Wertschätzung für ihren Beruf. Dazu gehöre es auch, für lokale Produkte etwas tiefer in die Tasche zu greifen.

Wie abhängig die Bevölkerung von einer gut funktionierenden Landwirtschaft ist, zeigt Friedemann Alber vom Baiersbachhof in Aichtal. Er hat einen Einkaufswagen voll mit Nudeln aus Eigenproduktion mitgebracht. „Das sind 20 Kilo Nudeln. So viel verbrauchen zwei Personen pro Jahr.“ Doch die Umstände, unter denen die Produkte hergestellt werden, würden immer schwieriger. „Allein die Bürokratie“, regt sich Alber auf: „Die Hälfte der Arbeitszeit verbringe ich im Büro.“

Matthias Gastel steht Landwirten Rede und Antwort

Gegen 13.45 Uhr ergreift Kreisbauernverbands-Vorsitzender Nägele das Mikrofon und macht deutlich, dass man am heutigen Tag nicht wegen des Agrardiesels und der Kfz-Steuer auf die Straße geht. „Es geht um die gesamte Situation, die immer kritischer wird.“ Er fordert von der Politik Rahmenbedingungen, um überhaupt noch wirtschaften zu können: „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem Landwirtschaft bald unmöglich sein wird.“

Immer wieder wird Nägeles Rede von Beifall und vereinzelten Jubelrufen unterbrochen. „Nur wenn es den Bauern gut geht, kann es uns auch gut gehen“, ruft eine Frau aus dem Publikum dem Redner zu. „Wir sind es nicht, die sich verrennen. Die haben sich verrannt und rennen stur weiter“, sagt Nägele in Richtung Bundespolitik. Als einziger Bundespolitiker aus dem Wahlkreis Nürtingen ist der Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel der Einladung der Kreisbauern gefolgt und kommt mit den frustrierten Landwirten ins Gespräch. Die nutzen das Angebot rege und geben Gastel einige Kritikpunkte mit auf den Weg nach Berlin.