Nachdem im Januar noch Massen zur CMT über das Pflaster geströmt waren, herrschte den Rest des Jahres 2020 meist gähnende Leere auf der Messepiazza in Leinfelden-Echterdingen. Ein Sinnbild für die Geschäfte vieler Firmen in der Messe- und Veranstaltungswirtschaft im Kreis und ganz Deutschland. Mit Umsatzrückgängen von schätzungsweise 80 Prozent rechnen die Experten der Industrie- und Handelskammer Esslingen-Nürtingen nach Angaben von Geschäftsführer Christoph Nold. Die Firmen versuchen sich am Sparen und an neuen Geschäftsideen - und üben Kritik an der Politik.
Die Messe Stuttgart ging im Dezember nach Angaben des Sprechers der Geschäftsführung, Roland Bleinroth, bis Jahresende 2020 von einem Umsatzminus von 75 Prozent aus. Ersatzangebote wie Streaming-Studios, erste hybride Formate und digitale Messen seien gut angenommen worden. Und die Vorbereitungen für das Kreisimpfzentrum, das am 15. Januar in Betrieb gehen soll, laufen. Doch das brachliegende Messegeschäft könne dies „nicht einmal ansatzweise ausgleichen“. Die Mitarbeiter sind so weit wie möglich in Kurzarbeit. Das Land und die Stadt Stuttgart als Gesellschafter greifen der Messe 2021 mit Bürgschaften unter die Arme.
Diese Unterstützung erfahren andere Unternehmen nicht. Zum Beispiel die Esslinger Veranstaltungstechnikfirma Body in Motion. „Wir hatten 2020 eigentlich andere Investitionen geplant, doch dieses Jahr heißt die Investition Corona“, sagt Inhaber Marco Di Pilla. Statt gewöhnlich bis zu 800 Veranstaltungen pro Jahr seien es 2020 knapp 80 gewesen, das bedeute einen Umsatzrückgang von 90 Prozent. Zwar biete er Übertragungen per Livestream an. „Aber die Kunden sind zögerlich.“
Dennoch versuchen sich viele an neuen Geschäftsideen. „Wir gehören zu der Gruppe, die den Kopf nicht hängen lässt“, sagt Mossadegh Hamid über sich und die ganze Branche. Seine Firma DIMAH in Ostfildern ist bei Messen und Events, im Ladenbau und in der Markenkommunikation tätig. Sie baut nicht erst seit Corona auch virtuelle Messestände und das schaffe etwas Luft. Dennoch rechnet Hamid mit einem Umsatzrückgang von 60 Prozent. „Hätten wir Schulden und keine eigene Immobilie, hätten wir es womöglich nicht geschafft.“ Ähnlich oder schlechter geht es ihm zufolge anderen. Messebauer versuchten sich im Innenausbau oder verliehen Mitarbeiter in die Baubranche. Verleihfirmen für Möbel und Technik hätten 2019 groß investiert und säßen nun auf einem Schuldenberg. Auch Newcomer, etwa im Catering, seien schlecht dran.
„Natürlich gibt es einige, die um ihre Existenz bangen“, sagt IHK-Geschäftsführer Nold. Wie viele am Ende Insolvenz anmelden müssten, sei schwer abzuschätzen, man gehe aber von einer mittleren dreistelligen Zahl an Mitgliedsfirmen im Kreis Esslingen aus und: Die Branche spiele insgesamt für den Landkreis eine wichtige Rolle. Messen und Kongresse beeinflussen auch anderen Branchen wie Gastgewerbe, Einzelhandel und Reisewirtschaft.
Doch die Bedeutung der Messe- und Veranstaltungswirtschaft ist in der öffentlichen Wahrnehmung unterbewertet, glaubt Alexander Ostermaier, einer der Geschäftsführer von Neumann und Müller. Die Veranstaltungstechnikfirma mit 19 Standorten in ganz Deutschland beschäftigte Ende 2019 in Esslingen, Neuhausen und an der Messe Stuttgart 169 Mitarbeiter. Zum Ende des Jahres 2020 hat sie durch die Schließung eines Lagers in Esslingen sowie coronabedingt 46 Mitarbeiter verloren. Ostermaier ist auch einer der Initiatoren der Protestbewegung „Alarmstufe Rot“, die auf die Nöte der Veranstaltungswirtschaft in der Coronakrise aufmerksam macht. „Die Branche wurde viel härter getroffen, als es sie hätte treffen müssen“, sagt er. Er kritisiert, dass die meisten angstfrei in eine Shoppingmall gingen, Kongresse und Messen aber als Gefahr abgestempelt würden - trotz großer Räume und personalisierter Tickets. Auf der anderen Seite habe die Branche, die „als eine der ersten vom faktischen Berufsverbot betroffen war“, von staatlicher Seite kaum Unterstützung erhalten. Das hat sich mit den November- und Dezemberhilfen geändert. „Ich glaube, die Nöte der Branche sind angekommen in der Politik“, so Ostermaier.
Dem stimmen auch die anderen Unternehmer zu. Ein gutes halbes Jahr könnten sie so noch durchhalten, wenn hoffentlich ab Sommer wieder Veranstaltungen möglich sind. Doch selbst dann könnte es nach Einschätzung von IHK-Chef Nold noch dauern, bis die Geschäfte wieder gut laufen, denn viele Unternehmen hätten ihre Dienstreise- und Messebudgets drastisch gekürzt.