Graffiti spaltet die Gemüter und wirft oft die Frage auf: Ist das Kunst oder kann das weg?
Legalize it!

Schon in den 90er-Jahren sagte ihm ein Frankfurter S-Bahn-Fahrer das Ende des Graffiti voraus. Doch die Straßenkunst blieb und er blieb ihr treu: Der WahlÖtlinger Christian Pomplun ist Kunsttherapeut mit einer großen Faszination für die Sprühdose. Seine klare Mission: Legalize it!

Was gefällt Ihnen so an Graffiti?

POMPLUN: Man kann sich damit toll ausdrücken. Die Sprühdose ist als Werkzeug ein absoluter Magnet. Sie lässt einen mal richtig Druck ablassen. Wenn man das erste Mal sprüht, glaubt man gar nicht, dass man das je kontrollieren kann. Aber es funktioniert.

Waren Sie selbst mal als Sprayer auf den Straßen zugange?

POMPLUN: Als ich 13 war, hab ich illegal „getaggt“, also meine Signatur hinterlassen. Da war Graffiti gerade auf dem Weg in die Öffentlichkeit. Es gab auf einmal Bücher darüber, aus dem Zug hat man vollgesprühte Wände gesehen, deutsche Städte haben angefangen, ihren eigenen Stil zu entwickeln.

Wozu tut man das?

POMPLUN: Dafür gibt es mehrere Gründe. Im Vordergrund steht wahrscheinlich das Bedürfnis, sich seinen Platz zu nehmen, Raum zu finden, den man woanders nicht bekommen hat. Außerdem geht‘s um Ruhm und Anerkennung. Je öfter mein „Tag“ zu sehen ist, desto bekannter werde ich. Für mich war es allerdings immer wichtiger, mich kreativ auszuprobieren und echte Kunstwerke zu schaffen.

Und was passierte dann?

POMPLUN: Ich wurde erwischt. Und das war mir unheimlich unangenehm. In dem Moment wurde mir die Grenze deutlich gemacht und ich habe aufgehört. Ich hatte damals ganz schön Glück und konnte die Sache durch einen sogenannten Täter-Opfer-Ausgleich klären. Manche kommen da nicht so glimpflich davon.

Graffiti ist nicht gleich Graffiti – Machen Sie einen Unterschied zwischen „Kunst“ und „Schmiererei“?

POMPLUN: Das ist eigentlich schizophren. Illegal auf der Straße wäre beides Sachbeschädigung, keine Frage, aber Kunst kann es trotzdem sein. So richtig doof finden kann ich es wohl nicht, selbst wenn es nicht legal ist.

Trotzdem trifft diese Kunstform bei anderen auf wenig Begeisterung – Wieso?

POMPLUN: Vielleicht ist der Ruf gar nicht so schlecht, wie man meint. Meistens kriege ich positive Resonanz darauf, was ich tue. Schwierig ist der Begriff „Graffiti“. Graffiti ist eigentlich extrem vielfältig. Es gibt sogar Licht- und Moosgraffiti. Doch in den Köpfen ist damit ganz oft nur „Schmiererei“ gemeint.

Wie wollen Sie das ändern?

POMPLUN: Wir brauchen noch mehr Kooperation mit der Stadt. Es müssen Flächen geschaffen werden, wo legal gesprayt werden darf. Es muss Möglichkeiten geben, wo sich die Sprayer ausleben dürfen. Ganz legal.

Was würden Sie sich vonseiten der Stadt und Polizei wünschen?

POMPLUN: Die Stadt Kirchheim hat sich bei dem Thema schon ziemlich weit geöffnet. Und die Polizei macht ja letztlich auch nur ihren Job. Wenn Sachbeschädigungen passieren, muss das natürlich geahndet werden. Man darf bloß nicht den Fehler machen, Jugendliche im Vorhinein auf die kriminelle Schiene zu drücken, nur weil sie sich für Graffiti interessieren.

Ist denn Graffiti nur etwas für Jugendliche?

POMPLUN: Man muss wissen, dass die Graffitibewegung schon in der 1970ern in New York angefangen hat. Diejenigen, die das damals gestartet haben, sind jetzt also schon längst Opas. Es ist falsch zu glauben, Graffiti sei eine Bewegung der heutigen Jugend, aber die Kunstform hat sich mit der Zeit ziemlich weiterentwickelt. Die meisten heutigen Erwachsenen sind da mittlerweile einfach rausgewachsen.

Wie kommt es, dass sich Graffiti seit fast 50 Jahren so wacker hält?

POMPLUN: Graffiti erfüllt Bedürfnisse, die zeitlos sind, sich vielleicht sogar immer weiter zuspitzen. Wo gibt es denn heutzutage noch den Freiraum, den wir brauchen? Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr auf Sicherheit bedacht ist. Graffiti ist die Gegenreaktion. Wo kann ich mich noch erfahren, wenn alles abgesichert ist? Es ist absolut natürlich, solche Herausforderungen zu suchen. Die Art der Grenzerfahrungen gibt es allerdings auch im legalen Rahmen.

Sie machen Graffiti-Workshops: Was wollen Sie den Teilnehmern damit zeigen?

POMPLUN: Ich will ein Aha-Erlebnis auslösen und zeigen, dass Graffiti nicht einfach nur loslegen, sondern wirklich harte Arbeit ist. Ich will, dass die Jugendlichen Teamwork lernen und Empathie entwickeln. Und ich hab den Anspruch, das auf ein legales Level zu bringen. Der Kampf gegen illegales Graffiti ist allerdings einer wie David gegen Goliath.