Am Anfang stand der Wunsch nach einem Auslandssemester in einem spanischsprachigen Land. „Ich konnte ein bisschen Spanisch und wollte es vertiefen“, erzählt Lena Bautze am elterlichen Esstisch in Schlierbach. Die Studentin der Biochemie in Berlin war zwei Jahre Volontärin beim Teckboten und ist gerade auf einem kurzen Zwischenstopp in der alten Heimat. Von Penang in Malaysia ging es über Shanghai und Frankfurt schließlich mit dem Zug nach Ebersbach. „Das ist schon krass. Hier war das Wetter grau und kalt, zwei Tage davor war ich bei 32 Grad am Strand, habe Fisch und Kokusnuss gegessen – und am Montag habe ich meine erste Vorlesung in Stockholm“, erzählt sie.
Statt nach Spanien oder Südamerika ging es für Lena Bautze Ende August geradewegs nach Taipeh, der Hauptstadt Taiwans. Die Erforschung der Pilze stand für die nächsten Monate auf ihrem Plan, tolle Eindrücke in vielfacher Form inklusive. Die Erlebnisse sprudeln nur so aus ihr heraus. „Ich wollte einfach weit weg, so eine Chance bekomme ich so schnell nicht wieder. In Taiwan kann man alleine als Frau sicher unterwegs sein.“ Deshalb hat sie sich beim Deutschen Akademischen Austauschdienst beworben.
Der Wald ist Jurassic World. Es haben nur noch die Dinos gefehlt.
Lena Bautze
„Taiwan ist ein wunderschönes Land und die Menschen extrem freundlich, hilfsbereit und lieb“, beschreibt sie ihre Eindrücke. Wilde Natur mit Bergen bis etwa 2000 Meter Höhe sind quasi ums Eck der Hauptstadt. „Zum Versuchswald der Universität waren es 20 Minuten. Von Taipeh ist man dann mitten in den Bergen.“ Gleich am zweiten Tag an der National Taiwan University (NTU) durfte sie mit auf Exkursion. Ihr Professor war Dr. Roland Kirschner. Der Deutsche lebt und lehrt schon lange dort. „Er ist Biologe. Ursprünglich haben ihn die Insekten interessiert, jetzt sind Pilze sein Forschungsgebiet“, erzählt die Studentin. Der (Ur-)Wald beeindruckte sie. Sattes, saftiges Grün, untermalt mit exotischen Vogelstimmen. Sie sah den Fünffarbenvogel, der offiziell Taiwanbartvogel heißt und eine endemische Spechtart ist. Beeindruckt war Lena Bautze, als Roland Kirschner nahe eines Schirmpilzes zu graben anfing und Ameisen dann auf seine Hand krabbeln ließ. „Die Ameisen bauen den Pilz an wie ein Gärtner, um ihn dann später ernten zu können“, erklärte der Professor der staunenden Studentin. „Mit einem Mykologen ist man sehr langsam in der Natur unterwegs“, konnte sie feststellen. Er machte sie auf noch so kleine Besonderheiten auf dem Boden oder an Felswänden aufmerksam.

Schon an ihrem ersten Tag an der Uni durfte sie sich mit Pilzen befassen. „Meine Hauptaufgabe war, die Dateien durchzusehen, ob die Pilze schon bestimmt sind. Wenn nicht, sollte ich das herausfinden. Und tatsächlich: Sehr wahrscheinlich habe ich einen neuen entdeckt. Mein Professor und ich haben uns auch schon einen Namen überlegt und uns auf Kleeblattpilz geeinigt, weil der Pilz eine ähnliche Form hat. Ich bin gespannt, ob es tatsächlich klappt“, sagt Lena Bautze und grinst plötzlich, denn ihr ist wegen des Namens ihr eigener mit dazugehörigem Kuriosum in den Sinn gekommen: „Bautze hat im Chinesischen zwei Bedeutungen: Es ist ein Dampfbrötchen ähnlich einem Germknödel, der süß oder pikant gefüllt ist, und – wie passend – Pilzsporen.“ Obwohl sie „nur“ Praktikantin war, hat sie sich als Assistentin ihres Professors gefühlt. „Das Studentenleben habe ich als Bonus mitbekommen, denn ich konnte immer wieder zu Vorlesungen von Roland Kirschner quasi on top gehen.“ Im Gegensatz zu Deutschland seien die Vorlesung sehr schulisch, sind ein Frontalunterricht. „Es gibt keine Interaktion, keine Fragen“, sagt sie.

Mit Englisch ist sie gut an der Uni durchgekommen, sie selbst hat ein wenig Alltagschinesisch gelernt. Mit Wendy, einer Masterstudentin, konnte sie sich ein wenig anfreunden. „Schnelle, freundschaftliche Beziehungen sind nicht die Art der Taiwanesen“, ist ihre Erfahrung. Als das Eis gebrochen war, musste sie abreisen. „Taipeh ist eine sehr ruhige Stadt. Ab 9 Uhr abends ist es still. Es gibt noch Nachtmärkte bis Mitternacht. Das sind Straßenküchen. Jeder Händler bietet was an: zum Beispiel Grillspieße, gebratene Austernpilze und rote Bohnenpaste, die süß ist und für Pfannkuchen verwendet wird“, erzählt sie. Die schärfeliebende Schwäbin musste feststellen, dass die taiwanesische Küche recht süß ist. „Ich bin dann ab und zu zum deutschen Bäcker und hab da meine Brezel gekauft, auch einen Leberkäswecken hab ich gegessen, denn die Taiwanesen lieben alles Deutsche. Wir sind da höher angesehen als die Amerikaner“, stellte sie zu ihrer Verwunderung fest und sagt: „Die Taiwanesen trinken und rauchen nicht. Wahrscheinlich ist es dort deshalb so friedlich und sauber.“ Katzen stehen ebenfalls hoch im Kurs, überall steht Futter für sie und man findet sie auch rekelnd auf Verkaufstresen, ohne dass sich jemand darüber aufregt – und in Kinderwägen. „In acht von zehn Kinderwägen liegen Haustiere und keine Kinder. Auch Meerschweinchen werden Gassi gefahren“, staunte die Schlierbacherin.

Beeindruckt haben sie neben der Freundlichkeit und Zuvorkommenheit der Menschen die Natur. „Überall gibt es Grüntee, alles ist entspannt. Tolle Vögel sind zu sehen und der Wald ist Jurassic World. Es haben nur noch die Dinos gefehlt. Die Natur ist atemberaubend und es gibt keine Touristen“, erzählt sie. Ein Erdbeben und zwei Taifun-Warnungen hat sie erlebt. „Der Staat hat zwei Feiertage ausgerufen, damit die Menschen zu Hause bleiben. Beim ersten Taifun war nichts in Taipeh – der zweite war heftig. Viele Bäume wurden entwurzelt.“

Unvergesslich das Erlebnis auf der Schildkröteninsel, die sich gerade mal eine halbe Stunde Bootsfahrt vom Festland entfernt befindet. „Ich bin mir vorgekommen wie im Film – ich schwimm da einfach so mit riesengroßen Schildkröten im Meer. Da bist du im Paradies“, ist sie immer noch fasziniert.

Von dort ging’s direkt nach Tokio. „Da habe ich mit meinem Partner unwissentlich tatsächlich im Rotlichtmilieu gewohnt“, sagt sie grinsend. Dann war noch mal Relaxen auf Langkawi in Malaysia angesagt – und jetzt also noch mal ein Tapetenwechsel. „Stockholm wird bestimmt toll, wenn die Tage immer heller werden“, freut sich Lena Bautze. Über das Erasmus-Programm kann sie nach Schweden gehen. Sie belegt biochemische Kurse. „Und dann habe ich mich noch für Wikinger und Schwedisch für Anfänger angemeldet.“