Kirchheimer Schüler beeindrucken Baden-Württembergs Kultusminister Andreas Stoch
Leseklassen künftig fest verankert

Kultusminister Andreas Stoch hat die Leseklasse der Freihofgrundschule in Kirchheim besucht. Die Deputate für diese Klassen ­kommen bislang aus dem Topf für den Ergänzungsbereich, aus dem auch Krankheitsvertretungen, Chor und Arbeitsgemeinschaften bestritten werden. Das soll sich nun ändern.

Kirchheim. Der Briefwechsel zum Thema Leseklassen zwischen Andreas Schwarz, Kirchheimer Landtagsabgeordneter der Grünen, und Andreas Stoch, Kultusminister des Landes, liegt in einer Pressemappe. Die Sätze sind gut ausformuliert, der Inhalt strukturiert und Rechtschreibfehler? Zumindest nicht auf den ersten Blick.

Die Wenigsten können es sich vorstellen, wie schwer es Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) haben. Hier leisten die Leseklassen wertvolle und erfolgreiche Arbeit, die für viele Kinder das Ende eines oft jahrelangen Martyriums bedeuten. Davon konnte sich nun Andreas Stoch an der Freihofgrundschule überzeugen.

Christel Rott, die seit zehn Jahren in der Leseklasse unterrichtet, nimmt die erwachsenen Besucher mit in eine Unterrichtsstunde. „Ihre“ 13 Kinder demonstrieren die etwas anderen Lernmethoden. Da bekommt etwa jeder Buchstabe eine pantomimische Geste zugeordnet, ähnlich der Gebärdensprache. Wenn Rott mit Wörtern bedruckte Papierstreifen aus dem Stapel zieht, dann will jedes Kind als erstes vorlesen und zwar auch, wenn das Wort auf dem Kopf steht oder bloß spiegelverkehrt zu lesen ist. „Das können nur die Kinder aus der Leseklasse so schnell,“ freut sich Rott. Lob und Anerkennung sind immens wichtig, denn in der ersten Zeit an der Leseklasse ist es die Hauptaufgabe, den Kindern wieder die Freude an der Schule und am Lernen zu vermitteln. Stück für Stück tasten sie sich dann ans Lesen heran. Alle haben vorher ein, zwei oder gar drei Jahre an normalen Grundschulen darunter gelitten, dass sie einfach nicht so lesen lernten, wie ihre Klassenkameraden. Nach durchschnittlich zwei Jahren gehen sie wieder zurück an die Regelschule. „Es ist unglaublich schön, dass bisher wirklich alle Kinder lesen gelernt haben,“ berichtet Sabine Ottmüller, ebenfalls Lehrerin in der Leseklasse.

Charlotte Ziegler, die gerade ihr Abitur macht, erzählt dem Minister davon, wie sie lediglich Buchstaben aufzählen konnte, während ihre Freundinnen schon lesen konnten: „Man geht nicht gerne in die Schule, wenn man das Gefühl hat, überall schlecht zu sein.“ Das bestätigt auch Magdalena Esslinger, die nun ebenfalls auf dem Gymnasium ist: „Als in Mathe die Textaufgaben kamen, war ich nicht mal mehr darin gut.“ Jonas Perrot, der gerade mitten in den Prüfungen zur mittleren Reife steckt, sagt: „In der ersten und zweiten Klasse saß ich den ganzen Mittag an den Hausaufgaben“, und sein Vater Jochen Riesbeck ergänzt: „Das war der absolute Schulfrust!“

Andreas Stoch hakt nach: „Wie ist das heute bei euch? Lese-Rechtschreib-Schwäche bleibt ja.“ Die Schüler haben Lernstrategien entwickelt. Sie wissen, dass sie weniger Fehler machen, wenn sie sich mehr Zeit lassen und sie akzeptieren, dass es beispielsweise bei den Fremdsprachen immer etwas schwieriger bleibt. Klasse finden Schüler wie Eltern, dass sie Strategien entwickeln lernten, die auf logischen Systemen basieren.

Obwohl die Leseklasse ein absolutes Erfolgsmodell ist, blieb von Jahr zu Jahr die Unsicherheit, ob die Finanzierung für das nächste Jahr steht. Deshalb hat sich Andreas Schwarz beständig dafür stark gemacht, dass die Leseklassen ihr Deputat aus dem sogenannten Direktbereich erhalten. „Nur so können Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche auch in Zukunft verlässlich eine bewährte Förderung erhalten“, ist Schwarz überzeugt. Nun trägt sein Einsatz offenbar Früchte: Nächste Woche sollen mit dem Nachtragshaushalt im Landtag 180 zusätzliche Deputate für die Leseklassen beschlossen werde.

Die Stippvisite in Kirchheim war daher für den Kultusminister letztlich die Bestätigung, dass diese Verlässlichkeit „lange überfällig“ war. „Wir müssen davon wegkommen, Kinder einheitlich zu betrachten und uns fragen, wie wir ihnen am besten gerecht werden und sie bestmöglich fördern“, sagt Andreas Stoch. „Deren Selbstwertgefühl zu stärken ist dabei ganz wichtig.“