Kirchheim. Natürlich ist bei einem Jubiläum ein Rückblick fällig. Filialleiterin Sibylle Mockler hat alles miterlebt: Dorothea Holl, der Ehrengast des Jubiläumsabends, musste damals ihre Buchhandlung altershalber aufgeben. Als Nachfolger wählte sie die Firma Zimmermann. Zimmermann ging das Risiko ein und die notwendige Vergrößerung wurde dadurch möglich, dass ein angrenzendes Friseurgeschäft ebenfalls sein Geschäft schließen musste. Zimmermann baute in 15 Monaten die Bücherei so aus, dass sie heute auf zwei Ebenen auf einer Fläche von 200 Quadratmetern ihre Schätze anbietet. Die Buchhandlung Zimmermann ist heute stolz auf ein fachkundiges Personal und ein Veranstaltungsprogramm. „Zimmermann‘s Kulturkalender“ gehört zum festen Kulturangebot der Stadt. „Es gibt kaum einen zeitgenössischen Autor von Rang, der in Kirchheim nicht aufgetreten ist“, so Sibylle Mockler.
Nun gab es ein weiteres, ein erstaunliches Jubiläum zu feiern. Rudolf Guckelsberger machte sich bereit, seine – tatsächlich – 50. Lesung bei Zimmermann abzuhalten. Der hochkarätige Rezitator und Radiosprecher war schon immer dabei und ist seither in Kirchheim ein Begriff. Jedes Wort über seine hervorragende Lesekunst ist überflüssig. Zu seiner 50. Lesung hat er aus gegebenem Anlass Texte unter dem Motto „Bücherwahn und Leselust“ zusammengestellt. „Der Umgang mit Büchern ist eine existenzielle Angelegenheit“, so lautet seine erste These, und er belegt sie mit Texten von Autoren wie Thomas Thelen, Christa Wolf und Gerhard Köpf. Erste Leseerlebnisse, etwa bei Hemingways Kurzgeschichten, prägen das eigene Leben. Weiterhin: „Durch das Lesen kann man Welten erschaffen. Gegenwelten vor allem, die einen Unerträgliches aushalten lassen.“ Von Georg Christoph Lichtenberg stammt der schöne Aphorismus „Er las so gerne, wie er sagte, Abhandlungen vom Genie, weil er sich immer stark danach fühlte.“ Weiterhin: „Lesen macht stark, geistig wie physisch.“ Dazu wiederum Lichtenberg: „Ich vergesse das meiste, was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe; ich weiß aber so viel, beides trägt nichtsdestoweniger zur Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei.“
Damit das Lesen nicht zu einseitig verherrlicht wird, gibt es auch –scheinbare – Gegenmeinungen: Wer lesen kann, muss auch lesen. Lesen wird zur Sucht wie der Alkoholismus oder gibt einen fremdbestimmten Verhaltenskodex vor (Arno Schmidt). Bücher sind nicht nur zum Lesen da, sondern vielseitig einsetzbar, so führt Ringelnatz in seinem Gedicht „Bücherfreund“ aus, als Hantel, Schmuckstück oder Klopapier. Und von wegen hoher Literatur. In den Bibliotheken wird nur modische Trivialliteratur angeboten, teilt Kleist im Jahr 1800 seiner Braut in einem Brief mit.
Doch es bleibt dabei: Bibliotheken sind Orte, an denen Bücher ihre Magie verbreiten können. Es kommt allerdings darauf an, ob der Leser versteht, was er liest und ob er seine Fantasie walten lässt. Selbst ein Kursbuch kann Bilderwelten von Märchen und Mythen hervorrufen (Wolfgang Hildesheimer).
Doch was ist der Schriftsteller für eine Existenz? Schreibt er für sich oder für sein Publikum? Urs Widmer macht in seiner Satire „Das Paradies des Vergessens“ klar, dass es ohne Vermarktung der Texte nicht geht.