Alle dreieinhalb Tage stirbt eine Frau in Deutschland durch die Hand ihres Mannes oder Ex-Partners“, sagt Saskia Wiesner vom Verein „Frauen helfen Frauen Kirchheim“. Die Sozialpädagogin zitiert damit die Kampagne „One Billion Rising“, die im vergangenen Jahr mehr als 100 sogenannte Femizide gezählt hat, über die berichtet wurde. Der Begriff bezeichnet die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist. Er sei ein Kontrast zur Verharmlosung der Gewalt in Partnerschaften, die angeprangert wird, wenn Medien über „Familiendrama“ oder „erweiterten Suizid“ berichteten. Denn meist geschieht die Gewalttat nicht spontan, sondern geplant. Darauf machten Aktivistinnen und Aktivisten auf der ganzen Welt schon vor zwei Jahren aufmerksam.
Drohung kann tödlich enden
Im Kreis Esslingen verzeichnet die Polizei für die Jahre 2017 bis 2021 acht Fälle von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten in Partnerschaften, bei denen der Mann der Täter und die Frau das Opfer war. In diesem Jahr folgte der gewaltsame Tod der 58-Jährigen in Kirchheim. „Ich kann mich nicht entsinnen, dass wir hier schon mal so einen Fall hatten“, sagt Irmgard Pfleiderer, die seit 2004 ebenfalls bei „Frauen helfen Frauen“ arbeitet.
„Natürlich führt nicht jede Drohung zur Tötung. Aber jede Drohung hat das Potenzial dazu“, erklärt Tanja Schneider von der Beratungs- und Interventionsstelle von „Frauen helfen Frauen Filder“. 2021 war in Ostfildern-Kemnat eine 34-Jährige von ihrem Ehemann erschossen worden, als sie sich scheiden lassen wollte und das Sorgerecht für die Tochter forderte.
Ein wichtiges Thema ist die Gefährdungseinschätzung: Die ersten Wochen der Trennung sind die gefährlichsten. Es stellt sich die Frage, ob die Frau zum eigenen Schutz in ein Frauenhaus ziehen will, in der Regel weiter entfernt vom Wohnort. Ein hoher Preis: Sie muss Job und Freundeskreis aufgeben, die Kinder Schule oder Kita – während der Ex in seinem Umfeld bleiben kann. „Das ist absolut ungerecht, empörend und wir müssen das aushalten“, sagt Tanja Schneider.
Die Frauen werden auch unterstützt, wenn sie nicht untertauchen. Opfer von Gewalt haben die Möglichkeit, sich bei der Polizei zu melden. Die kann den Mann für mehrere Tage der Wohnung verweisen. Auch ein Näherungsverbot ist möglich. „All das ist aber kein absoluter Schutz.“ Besonders gefährlich sind Männer, die nichts zu verlieren haben, denen diese Verbote egal seien. Tanja Schneider betont dennoch, dass die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Jugendamt und Fachberatungsstellen im Landkreis gut sei.
Meist geht der Trennung eine lange Eskalationsphase voraus. Die beginnt nicht immer mit einem Schlag, sondern teilweise subtiler, mit Eifersucht und sozialer Isolation, schildert Tanja Schneider. Corona hat die Belastung in vielen Familien erhöht – und in den Lockdown-Phasen die Möglichkeit für Frauen eingeschränkt, sich Hilfe zu suchen. „Als wieder gelockert wurde, kamen verstärkt Anfragen“, berichtet sie.
Selbstbewusstsein ist zerstört
Oft harrten Frauen lange in der Gewaltbeziehung aus, teilweise 20 bis 30 Jahre, bis sie Hilfe suchten, erklärt Irmgard Pfleiderer. Teilweise, um ihre Kinder nicht zu belasten. Aber auch, weil ihnen das Selbstbewusstsein fehlt. „Oft merken Frauen nicht, dass es nicht okay ist, wie sie behandelt werden“, sagt Wiesner. Die Kirchheimer Opferberaterinnen wollen die Öffentlichkeit sensibilisieren. „Sobald es bei einer Gewalttat um ein Paar geht, denken die meisten: Das hat nichts mit mir zu tun“, sagt Wiesner. Doch es ist ein gesellschaftliches Problem, das alle sozialen Schichten betrifft. „Alle müssten etwas tun, um diesen Familien zu helfen.“ Wichtig ist es, Hilfe anzubieten, appelliert Wiesner.
Ein Problem ist allerdings, dass viele Frauenhilfsvereine unterfinanziert sind. „Frauen helfen Frauen“ in Kirchheim ist in dieser Hinsicht besser aufgestellt. Aber auch hier gibt es zu wenig Plätze im Frauenhaus. „2020 mussten wir 56 Anfragen ablehnen.“