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Lieber auf zwei Rädern

Mobilität Klimawandel und hohe Spritpreise: Nie gab es mehr Gründe, das Auto in der Garage zu lassen und aufs Fahrrad zu steigen. Der Teckbote hat mit überzeugten Radlerinnen und Radlern gesprochen. Von Antje Dörr

Martin Lempp (68 Jahre alt), Bissingen: Zur Arbeit von Bissingen nach Kirchheim ist Martin Lempp – bis auf wenige Ausnahmen – immer mit dem Fahrrad gefahren. Auch, wenn’s geregnet hat. „Umziehen konnte ich mich im Brückenhaus schlecht. Ich bin dann halt im Laufe des Tages getrocknet“, sagt der ehemalige Sozialpädagoge und lacht. Regen habe ihm eigentlich wenig ausgemacht. „Schlimmer war’s im Winter, wenn es glatt war mit zwei Zentimeter Schnee oben drauf.“ Zum Fahrradfahren zwingen musste und muss sich Martin Lempp überhaupt nicht. Im Gegenteil. „Ich fahre überhaupt nicht gerne Auto. Das ist viel stressiger“, sagt er, um gleich noch mehr Vorteile des Fahrradfahrens aufzuzählen: Keine Parkprobleme. Geringere Kosten. Und – zumindest in der Stadt – höhere Geschwindigkeit. Manchmal war er sogar über Land schneller. „Einmal bin ich gleichzeitig mit dem Bus in Bissingen losgefahren und kam mit ihm an der Bushaltestelle vor dem Brückenhaus an“.

 

Mein Fahrrad kann ich reparieren, mit dem E-Bike müsste ich in die Werkstatt.
Martin Lempp

Fahrradfahren sei außerdem umweltfreundlicher. „Und man hat Bewegung, härtet sich ab, tut etwas für seine psychische Gesundheit“. Ob es insgesamt gesünder ist, weiß Lempp nicht, „weil man mit der Nase meistens knapp über dem Auspuff ist“. Fahrradunfälle seien meist weniger schwer als Autounfälle. „Und ganz wichtig für mich: Der Heimweg im Sattel war meine Zeit, um den Kopf freizukriegen“. Als Sozialpädagoge sei er täglich mit schwierigen Geschichten konfrontiert gewesen. Auf dem Fahrrad habe er Zeit gehabt, Dinge gedanklich abzuschließen. „Das schont vielleicht auch die Ehe, wenn die Frau nicht alles abbekommt“, sagt er und lacht. Auf ein besonders schickes oder leichtes Rad legt Lempp keinen Wert. Er fährt ein solides Tourenrad. Ein E-Bike hat er bisher nicht. „Mit dem normalen Fahrrad zu fahren, ist für mich körperlich ein unmittelbareres Gefühl. Außerdem kann ich mein Fahrrad selber reparieren, mit dem E-Bike müsste ich in die Werkstatt“, sagt er. Lempp und seine Frau radeln auch in der Freizeit gerne: Jedes Jahr machen sie eine große Radtour, mit dem Zelt im Gepäck. „Mit dem Fahrrad hat man genau das richtige Tempo, um ein Land richtig kennenzulernen“, sagt er.

Martin Lempp ist mit dem Rad flotter unterwegs als mit dem Auto. Foto: Carsten Riedl

Christopher Kiltz (14 Jahre alt), Notzingen: Nach der Schule auf den Bus zu warten, das kann Christopher Kiltz überhaupt nicht leiden. Seit er mit dem Rad zur Schule fährt, hat sich dieses Problem erledigt. Der 14-Jährige schwingt sich einfach auf den Sattel, und ab geht’s Richtung Heimat. Jetzt, im Frühling, ist er nicht der Einzige: Viele Notzinger Schülerinnen und Schüler verzichten auf den Bus und radeln lieber in die Schule. Sobald sich im Oktober die Blätter färben, wird es auf den Radwegen einsamer: Christopher ist in seiner Klasse einer von nur drei auswärtigen Jugendlichen, die selbst in der dunklen Jahreszeit noch in die Schule strampeln, anstatt mit dem Bus zu fahren. „Manchmal ist es schon kalt“, sagt er lachend. Aber aus seiner Sicht überwiegen die Vorteile. Die Flexibilität ist für ihn ein großer Faktor. Außerdem mag er es, an der frischen Luft zu sein und sich zu bewegen. „Ich sitze eh so viel tagsüber, morgens in der Schule und nachmittags bei den Hausaufgaben“. Außerdem sei Fahrradfahren gut für die Umwelt.

 

Beim Losfahren muss es einem auf dem Rad fast zu kalt sein.
Christopher Kiltz

Eine sportliche Herausforderung ist die Strecke zum Ludwig-Uhland-Gymnasium für den Notzinger, der auch in seiner Freizeit gerne mit den Eltern radeln geht, allerdings schon lange nicht mehr. Hin braucht er in der Regel 18 Minuten, zurück durchschnittlich 25 Minuten. Um nicht völlig verschwitzt anzukommen, rät der Jugendliche, sich morgens nicht zu warm anzuziehen. „Beim Losfahren muss es einem fast zu kalt sein“, sagt er. Christopher fährt ein aufgerüstetes Mountainbike, der Schulrucksack im Fahrradkorb wird von zwei gefächerten Expandern gehalten. Ganz ohne Ausrüstung geht das Fahren bei jedem Wetter und durch die Dunkelheit nicht: Im Winter trägt er immer eine Warnweste, damit er von Autofahrern besser gesehen wird. Der Helm ist sowieso Pflicht, darunter kommt ein Stirnband. Im Winter trägt er eine Thermohose, im Sommer eine Schutzbrille gegen lästige Mücken. Bei Regen kommen Regenjacke und -hose zum Einsatz. „Die Sachen können im Schließfach oder im Klassenzimmer trocknen“, sagt er.

Christopher Kiltz ist froh, dass er dank Drahtesel micht mehr mit dem Bus zu Schule muss. Foto: Markus Brändli

Hanna Ulbricht (39 Jahre alt), Zell/Aichelberg: Es ist nicht zu übersehen: Das blaue Fahrrad, das an der Mauer zum Schlossgraben lehnt, hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Oder Jahrzehnte. Hanna Ulbricht, 39 Jahre alt, nennt es nicht umsonst ihr „Konfirmationsfahrrad“: 1997, im Jahr ihrer Konfirmation, hat sie es von den Geldgeschenken der Verwandten gekauft. 25 Jahre sind sie somit schon gemeinsam unterwegs. „Silberne Hochzeit!“, sagt Ulbricht und grinst. Zweimal sei sie damit nach Berlin geradelt, einmal nach Hamburg. Und seit rund anderthalb Jahren fährt die Lehrerin mit dem blauen Stahlross vier mal wöchentlich von Zell unter Aichelberg an ihre Reichenbacher Schule. Die Strecke führt durch Wald und Flur, am Rand von Hattenhofen und Weiler vorbei.

Ulbricht radelt bei Wind und Wetter, auch Regen oder Schnee halten sie nicht ab. Im Herbst, wenn es matschig ist, muss sie immer wieder anhalten, um mit Stöckchen das Schutzblech freizukratzen. Nur bei Sturm ist sie vorsichtig. „Als es sehr stark gestürmt hat, bin ich einmal mit dem Auto gefahren, weil ich keine Äste auf den Kopf kriegen wollte“, sagt sei. Duschen gibt es in der Schule leider keine, der Waschlappen muss reichen. „Umziehen muss ich mich immer, weil ich oft dreckig werde und schon schwitze“, sagt sie. Für Ulbricht, die sich extra von den Fildern nach Reichenbach versetzen lassen hat, um nicht mehr mit dem Auto pendeln zu müssen, ist das Fahrradfahren eine „Win-win-win-Situation“, wie sie sagt: „Die Bewegung tut mir gut. Auf das Auto zu verzichten, ist gut für die Umwelt. Und das Fahrradfahren schont meinen Geldbeutel“. Täglich motivieren muss Ulbricht sich nicht: Sie fährt einfach, punkt. „Es ist auch im Winter schön. Wenn man täglich fährt, sieht man den Wandel der Natur im Lauf der Jahreszeiten“, sagt sie. „Wenn nach dem Winter die Blätter wieder rauskommen und die Vögel zwitschern, hat das was“. Allerdings muss sie sich allmählich um einen Ersatz für ihr geliebtes „Konfirmationsrad“ kümmern. „Ich habe das Problem, dass mir bei vielen anderen Rädern, die ich ausprobiert habe, die Hände einschlafen“, sagt sie. „Allerdings habe ich schon die Sorge, dass das Rad allmählich unter mir wegrostet“.