Während der Zugfahrt einen Film aufs Tablet streamen; einem Verkehrsunfall entgehen, weil das intelligente Auto mit anderen Fahrzeugen kommuniziert: Der neue Mobilfunkstandard 5G macht dank höherer Datenraten und Übertragungsgeschwindigkeiten unser Leben und unsere Städte smart, wirbt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik auf seiner Webseite. „Besonders bedeutend“ sollen seine Eigenschaften aber für Wirtschaft und insbesondere Industrie sein.
In der Innovationsabteilung des Neuhausener Unternehmens Balluff ist man dagegen noch deutlich zurückhaltender. Der Sensorspezialist testet derzeit mit anderen Firmen in der Region, was 5G kann – und ob sich dessen Einsatz überhaupt lohnt.
In einem Konferenzraum in der Balluff-Zentrale steht eine Miniatur-Industrieanlage, ausgestattet mit mehreren Sensoren. So erkennt das System, welche Farbe das Granulat hat, das in die sechs Babybreigläschen gefüllt ist, welche über eine Art Transportband an den Sensoren vorbeifahren. Die Elemente dieser Anlage kommunizieren mithilfe einer lokalen 5G-Zelle. Roland Schäfer, der Leiter der Innovationsabteilung, zeigt, wie er bestimmte Gläschen nach Farbe aussortieren lassen kann. „Alles, was wir hier machen, wäre auch mit einem 4G-Netz möglich“, sagt er. Denn noch kann 5G nicht ganz halten, was versprochen wird. Nach und nach werden die Funktionen festgelegt und von Netzbetreibern und Chipherstellern auf den Markt gebracht. Die, die für die Industrie interessant sind, kommen erst noch.
5G-Firmennetzwerke sind teuer
Die Anlage dient zur Demonstration dessen, was Balluff bisher geschafft hat: Im Rahmen des öffentlich geförderten Projekts „5G-Synergieregion“ haben die Neuhausener einen 5G-fähigen Sensor entwickelt und andere Netzwerkkomponenten. Die 5G-Zelle, ein mobiles Netzwerk, ist eine Leihgabe des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung für wenige Wochen. Balluff hat noch kein eigenes Netzwerk. „Es ist extrem teuer“, erläutert Schäfer. Hier liegt der Hund besonders aus Perspektive der kleinen und mittelständischen Unternehmen begraben.
Für seine Forschung nutzt Balluff gemeinsam mit anderen Projektpartnern die 5G-Infrastruktur der Arena 2036 – ein vom Staat, Wissenschaftseinrichtungen und Firmen getragener Forschungscampus in Stuttgart-Vaihingen. Hier wird geprüft, wie die Vorteile von 5G in konkreten Industrieanwendungen umgesetzt werden können. Ein Vorteil gegenüber anderen Drahtlostechnologien wie WLAN ist die Möglichkeit, einen bestimmten Frequenzbereich für ein Firmennetzwerk zu mieten, auf das Auswärtige keinen Zugriff haben. Das gewährleistet Netzstabilität, wie Christoph Böckenhoff, Entwickler und Projektleiter bei Balluff, erklärt. Der neue Mobilfunkstandard verspricht neben hohen Datenraten und einer hohen Gerätedichte – das heißt, dass viele Endgeräte verbunden werden können – auch geringe Latenzen. Letzteres bedeutet Signalübertragung und Reaktion in Echtzeit, was laut Böckenhoff für die Industrie besonders interessant ist. Das sei für die Steuerung der Maschinen in den zunehmend automatisierten und digitalisierten Fabriken wichtig. Zudem könne 5G extrem genau lokalisieren.
Die interessanten Funktionen kommen erst noch
Allerdings sind Funktionen wie die geringen Latenzen in der Praxis noch Zukunftsmusik. Viele Unternehmen seien deswegen wie Balluff noch in der Phase des Experimentierens, erklärt Miriam Solera, Referentin für 5G und drahtlose Kommunikation beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Zurzeit rechtfertige sich der Einsatz für ein kleines oder mittelständisches Unternehmen mit Blick auf das Verhältnis von Kosten zu Nutzen noch nicht. Doch Solera ist überzeugt: „5G kann vieles, und es wird in den nächsten zwei Jahren einen Sprung geben bei Funktionalitäten, die interessant für die Industrie sind.“ Allerdings gebe es schon Anwendungen für andere Drahtlostechnologien, die funktionieren. In diese Umgebung müsse 5G integriert werden. Die Meinungen zum Potenzial des neuen Mobilfunkstandards gingen weit auseinander. Doch Solera ist der Ansicht: „Firmen müssen sich damit beschäftigen.“
Das Projekt „5G-Synergieregion“ hat jetzt Halbzeit, es läuft noch eineinhalb Jahre. In den nächsten Monaten sollen neue Chips auf den Markt kommen. Darauf wartet das Balluff-Innovationsteam. Mit ihnen können weitere Anwendungen getestet und es kann abgeklärt werden, ob die Kundschaft darin einen Mehrwert sieht. Nur dann habe es Sinn, 5G-fähige Produkte auf den Markt zu bringen, sagt Schäfer. „Wir sind sicher, dass Drahtlostechnologien die Zukunft der Industrie sind. Die Frage ist nur, welche.“ Es werde vielleicht eine Mischung. Balluff habe bereits Produkte, die mit anderen Technologien kompatibel sind. Nun frage man sich, wie tief man in den 5G-Teich eintauchen wolle. „Im Moment halten wir unseren großen Zeh hinein und testen die Temperatur.“
Das Familienunternehmen Balluff
Balluff: Das Familienunternehmen ist eigenen Angaben zufolge führender Sensor- und Automatisierungsspezialist. 2021 betrug der Umsatz laut Firmenwebseite 504 Millionen Euro. In Neuhausen arbeiten etwa 1000 Personen, weltweit 3600.
Mobilfunknetz: 5G ist das Netz der neuesten Mobilfunkgeneration. 2019 haben Telekom, Vodafone, Telefónica und Drillisch den größten Teil der Frequenzen ersteigert. Laut der Karte der Bundesnetzagentur ist 5G in weiten Teilen des Landkreises Esslingen verfügbar. Einen Teil der Frequenzen können Kommunen, Forschungseinrichtungen und Firmen mieten. Bisher sind 249 Anträge für Campusnetzwerke gestellt worden.
5G-Synergieregion: An dem vom Bund geförderten Projekt sind unter anderem die Uni Stuttgart und die Firmen Nokia, Bosch und Pilz beteiligt. Ziel ist, 5G-Anwendungen für die Industrie und den urbanen Raum zu entwickeln und zu testen. gg