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Märchen schildern keine heile Welt

Lesung Autorin Barbara Senckel liest im „beggs“ in Kirchheim aus ihrem Buch „Als die Tiere in den Wald zogen“. Mit den Besuchern unternimmt sie einen Ausflug in ein faszinierendes Märchenland. Von Andrea Barner

Barbara Senckel hat 30 Volksmärchen sorgfältig ausgewählt und zu einem Buch zusammengestellt. Drei davon stellt sie im „beggs“ vor. Die Veranstaltung auf Initiative des Kirchheimer Kinderschutzbunds findet in „Wohnzimmer-Atmosphäre“ statt. Kulisse ist das Café des Handarbeits- und Dekoladens in der Schuhstraße. Welche Märchen nimmt man da? Ein klarer Fall für Barbara Senckel: Es muss irgendwie um Probleme mit Eltern gehen. Denn: „Märchen schildern keine heile Welt“, sagt die Psychologin, Autorin und Therapeutin, „sondern eine realistische.“

Ihr Buch „Als die Tiere in den Wald zogen“ bedient sich im Wesentlichen bei der Märchensammlung der Gebrüder Grimm. Dass es da um mehr geht als die allseits bekannten Klassiker, zeigt Barbara Senckel gleich beim ersten Beispiel. Nicht etwa „Rotkäppchen“ oder „Der Wolf und die sieben Geißlein“ liest sie vor, sondern „Das Eselein“. Da geht’s um einen Prinzen, der in Gestalt eines Esels zur Welt kommt und mit seinen Hufen sogar Laute spielen lernt. Irgendwann sieht es aber sein Spiegelbild und zieht vor lauter Frust in die weite Welt. Am Ende bekommt das Eselein eine Prinzessin zur Frau und verwandelt sich in einen schönen Jüngling.

Kinder lieben diese einfache Geschichte. Wie in fast allen Märchen wird Klartext gesprochen, Kinder begreifen sofort, um was es da geht. Die brauchen keine Interpretationen. „Allerdings müssen Erwachsene wissen, welche Märchen altersmäßig zum Kind passen“, sagt Barbara Senckel. Nur wenige sind schon für Drei- oder Vierjährige geeignet, wie etwa „Die drei Federn“ oder die „Bremer Stadtmusikanten“ . In ihrem Buch macht die Autorin aus Schorndorf genaue Altersangaben - ansonsten geben die Kinder selber Hinweise. Wenn sie etwas nicht interessiert, wollen sie das Märchen nicht hören.

Und das Zuhörenlernen kann gar nicht früh genug beginnen. „Die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder, wenn es nur über die Ohren geht, ist unterschiedlich“, hat die Autorin immer wieder festgestellt, und „Zuhörenlernen ist Beziehungsfähigkeit anbahnen. Viele können das nicht mehr.“ Bei der Märchenstunde im „beggs“ lauschen alle Besucher gespannt auf die anderen Märchen und Erklärungen der Autorin. „Die sieben Raben“ sind den meisten bekannt, die „Kristallkugel“ oder die italienische Frau-Holle-Variante kennt kaum jemand.

Märchen, die nicht vorgelesen, sondern erzählt werden, sind bei Kindern hoch im Kurs. Für Eltern oder Großeltern ist der Aufbau eines gewissen Repertoires allerdings aufwendig. Wichtig im Umgang mit Kindern und Märchen ist Barbara Senckel auch die Nacharbeit. „Bewährt hat sich dabei vor allem das Rollenspiel“, sagt Senckel. „Da kann man manchmal erstaunliche Entwicklungsschritte beobachten.“ Sie erzählt zum Beispiel von einem eher ängstlichen Mädchen, das unbedingt die Rolle eines Räubers spielen wollte. „Hinterher hat sie auch im normalen Alltag mehr Kraft entwickelt.“

Albert Einstein sagte einst: „Wenn du intelligente Kinder willst, lies ihnen Märchen vor.“ Barbara Senckels These lautet: Kinder lieben Märchen. Sie helfen ihnen, das Leben zu verstehen und wichtige Entwicklungsschritte zu gehen. Das Entdecker- und Vorlesebuch „Als die Tiere in den Wald zogen“ soll Eltern und Großeltern helfen, den Kindern einen Zugang zur Märchenwelt zu eröffnen.