Betritt man die Werkstatt von Sabine Christ, wird direkt sichtbar, dass hier echte Handwerkskunst betrieben wird. An der Wand hängen aufgereiht die Werkzeuge der Möbelrestauratorin, darunter Zangen, Stemmeisen, Säge und Hammer oder auch ein Schultermesser. „Das sind Werkzeuge, wie sie früher verwendet wurden. Ich habe sie beim Antiquitätenhändler gefunden“, erzählt Sabine Christ, während sie an ihrer Werkbank vorsichtig die Oberfläche einer Schublade hobelt. Langsam wächst darunter der kleine Haufen Holzspäne. Auf dem Herd steht ein Topf mit Knochenleim, der vor sich hin köchelt.
„Das Heißleimverfahren ist eine ganz alte Technik. Die Knochenleimplatten werden im Wasserbad konstant bei weniger als 65 Grad erwärmt. Wenn der heiße Leim auf das vorgewärmte Holz aufgetragen wird, muss sofort gepresst werden“, schildert Sabine Christ einzelne Arbeitsschritte. Bereits in der Renaissance um 1500 sei Knochenleim bei Restaurationsarbeiten verwendet worden: „Für alte Möbel ist das bis heute wichtig, da die modernen Leime nicht reversibel sind.“
Die alten Arbeitstechniken der frühen Kunsthandwerker und Schreiner hat Sabine Christ von Grund auf gelernt. Erst als ausgebildete Schreinerin für fünf Jahre bei einem Möbelrestaurator in Nürtingen und Anfang der 90er-Jahre für ein halbes Jahr auf der Insel San Servolo in der Lagune von Venedig, auf der sich die einzige Schule für alte Handwerkstechniken in Europa befindet. „Alle kommen dorthin, Steinmetze, Stuckateure, Schmiede oder Handwerker wie ich, die mit Holz arbeiten“, erzählt Sabine Christ. Eine tolle Zeit sei das gewesen. „Im Austausch mit den anderen Handwerkern habe ich viel gelernt, davon zehre ich bis heute.“
Meist bearbeitet die Restauratorin mehrere Projekte gleichzeitig. So stehen an diesem Tag verschiedene historische Möbelstücke in der Werkstatt. Darunter ein Biedermeier-Schreibsekretär von 1835, bei dem die Schubladen schwer laufen. Daneben ein Louis-Philippe-Damenschreibsekretär, an dessen Schublade ein Stück abgebrochen ist. Sabine Christ hat für solche Fälle eine über Jahre zusammengetragene Sammlung an passenden Furnieren aus unterschiedlichen Hölzern, mit denen sie fehlende Teile optisch unauffällig ersetzen kann: „Ich habe teils ganze Betten gekauft, deren Holzgestell ich verwenden kann. Je nach zu restaurierendem Möbel muss das Holz für die Furniere aus derselben Region oder Epoche stammen. Ein grobporiges Holz aus dem Elbsandsteingebirge ist zum Beispiel nicht mit schwäbischer Nuss vergleichbar.“
Geduld und Fingerspitzengefühl
In der Werkstatt wartet außerdem ein Kirchheimer Barockschrank auf seine Restaurierung. Die Türen müssen vorsichtig geleimt werden, sodass die historische Schellackoberfläche nicht beschädigt wird. Die Schellackpolitur nach alter handwerklicher Tradition ist eine zentrale Disziplin der Restauration. „Die frühe Handwerkskunst ist beeindruckend. Man sieht den Stücken an, ob sie von einem Könner hergestellt wurden oder nicht“, weiß die Expertin. Ein ganz besonderes Projekt sei im letzten Jahr ein um 1850 gebautes Schreibmöbel gewesen, das einst dem Berliner Architekten und Bauhaus-Begründer Walter Gropius gehörte, der es innerhalb der Familie geerbt und weitervererbt hatte.
Ihre Schreinerlehre hat Sabine Christ, die zwischen Ulm und Memmingen aufgewachsen ist, unter 88 Kollegen als Innungsbeste abgeschlossen. „Mir war immer klar, dass ich etwas Handwerkliches machen möchte. Schon als Kind und Jugendliche habe ich viel Zeit in der Schreinerwerkstatt nebenan verbracht und mein Spielzeug teils selbst gebaut“, erzählt sie. Eine Zeitlang arbeitete Christ als Schreinerin, entwickelte aber schnell ein Faible für alte Möbel und deren Erhalt: „Das Restaurieren kann man mit dem normalen Schreinern nicht vergleichen. Das sind andere Techniken und dazu ist alles Handarbeit. Maschinen kommen nicht zum Einsatz.“ Jedes alte Möbelstück erzähle seine Geschichte, sagt Sabine Christ. Ob jene der alten Handwerkskunst, mit der es gefertigt wurde, oder die der Familie, die die Restauratorin durch die aktuellen Besitzer erfährt, die ihr das teils über Generationen weitergegebene Möbelstück vorbeibringen. „Ich restauriere museal, also originalgetreu, so ist der Werterhalt am höchsten.“ Selbst Dellen und Kratzer werden bewahrt und bei Bedarf wiederhergestellt. Seit 1995 hat Sabine Christ ihre Restaurationswerkstatt in Kirchheim und den Schritt nie bereut: „Ich könnte mir keinen besseren Job vorstellen.“ Seit 2007 ist sie von der Handwerkskammer bestellte und vereidigte Sachverständige im Schreinerhandwerk für den Fachbereich Möbelrestaurierung.