Nein, es ist nicht so, dass er ihr nach der Eheschließung verboten hätte, was er ihr vor der Eheschließung beigebracht hatte. Sie trat scheinbar aus freien Stücken den Rückzug an: „Die Welt der Malerei wurde für mich in Paris so groß, dass ich mich entschloß, selbst nicht mehr weiterzumalen“, schrieb Margarete Oehm 1925. 1926 heiratete sie ihren Mallehrer Willi Baumeister und machte mit 28 Jahren Ernst: keine eigenen Bilder mehr. Aus Margarete Oehm wurde Margrit (wie er sie nannte) Baumeister. Sie hielt ihm, einem der Heroen der klassischen Moderne, den Rücken frei, wie es so schön peinlich heißt. Er zeigte ihr als erster seine neuen Bilder, soll ihr Urteil hoch geschätzt haben. Die Künstlerin mutierte zur Gattin.
Traditionelle Rollenklischees
Ein freiwilliger Rückzug? Passt eigentlich nicht zu der selbstbewussten jungen Frau aus dem Stuttgarter Großbürgertum, die in der Zeit der großen Öffnung nach dem Ersten Weltkrieg zielstrebig den Weg zur professionellen Künstlerin ansteuert. „Man kann nicht von ,freiwillig’ reden. Die Rückkehr zu traditionellen Rollenklischees ist durch gesellschaftliche Normen bedingt, die auch in der Aufbruchphase der 20er Jahre wirksam waren“, sagt Corinna Steimel, Kunsthistorikerin und Leiterin der Städtischen Galerie Böblingen, wo sie 2015 mit der Schau „Die Klasse der Damen – Künstlerinnen erobern sich die Moderne“ einen bahnbrechenden Beitrag zum Thema leistete.
Damals wurde erstmals ein größerer Teil der 280 von Oehm erhaltenen Arbeiten ausgestellt. Derzeit zeigt die Stiftung Ruoff in Nürtingen die erste Einzelausstellung der Künstlerin – 45 Jahre nach ihrem Tod. Etliche der meist kleinformatigen Bilder führen in eine traumwandlerische Welt des Grotesken, der choreografisch bewegten Körper, der spielfigurenhaften Magie. Diese Miniaturen erscheinen wie spukhafte Nachbilder von Verlaines „Fetes galantes“, dieser selbst schon spukhaften Poesie einer melancholisch beschworenen Rokokosphäre der Komödienmasken, der Pierrots und Colombinen und ihrer theatralischen Verführungskünste.
Höchst eigenständig
Anderes gilt menschenleeren Landschaften zwischen nuancenreicher Lichtwirkung und der Düsterkeit nicht mehr naturalistisch eingesetzter Farbkontraste. Ein Selbstporträt hat ikonische Qualität, Bubikopf und jünglingshafte Zeichnung der Gesichtszüge geben ihm androgyne Wirkung. Der Protest gegen die Diskriminierung als Frau, den man darin mutmaßen kann, wird laut Steimel offenkundig in den für Oehms Verhältnisse relativ großformatigen „Badenden“, aus Sicht der Expertin das Hauptwerk der Künstlerin. Die Aktposen, in der Formgebung von Baumeister beeinflusst und doch höchst eigenständig, sind wie eine Demonstration „gegen den Ausschluss der Frauen von der Ausbildung in klassischer Aktmalerei“, sagt Steimel.
Nackte Modelle galten, ganz anders als bei männlichen Künstlern, für Frauen als unanständig. Das „Badende“-Bild mit seinem abstrahierenden Hintergrund und seiner flächigen, aber in die Tiefe gestaffelten Wirkung kann zudem als experimentelle Raumstudie gelesen werden. Es wirft die Frage auf, wohin sich Margarete Oehms Kunst entwickelt hätte, wäre die Künstlerin aktiv geblieben. Antworten wären spekulativ, vielversprechende Perspektiven aber sind ahnbar. „Deshalb sind solche Ausstellungen enorm wichtig: um zu zeigen, was der Kunstgeschichte verloren ging“, erklärt Steimel.
Kein Einzelfall
Denn Margarete Oehm war kein Einzelfall. Die laut Steimel „begnadete Zeichnerin“ Lotte Lesehr-Schneider etwa gab nach der Hochzeit mit dem Bildhauer Georg Lesehr jahrzehntelang die Kunst auf. Riccarda Gohr ließ noch in den 50er-Jahren die bildende Kunst fahren, nachdem sie HAP Grieshaber geheiratet hatte. Als Trostpreis des Patriarchats fiel etwas vom Glanz der Gatten auf diese Künstlerinnen und ihr Werk. Viele andere sind völlig vergessen.
Männer wie Baumeister oder Grieshaber waren künstlerische Revolutionäre und Anwälte des gesellschaftlichen Fortschritts. Trotzdem lebten sie in einer seltsamen Liaison mit reaktionären Rollenmustern. Die zeitgenössische Kunstkritik blies ideologischen Salut dazu. Hans Hildebrand, ein Förderer der Moderne, schrieb 1928: „Die Kunst der Frau begleitet die des Mannes. Sie ist die zweite Stimme im Orchester.“ Der nicht minder fortschrittliche Esslinger Kunsttheoretiker Kurt Leonhard glaubte noch 1967 feststellen zu müssen, keine Frau habe „die Kunstgeschichte stilschöpferisch beeinflusst“. Die Frau als Künstlerin bleibt Nachahmerin ohne Originalität, zweite Geige oder schlicht: widernatürlich. Steimel weist im Katalog zur Böblinger „Damenklasse“-Ausstellung auf das „Dritte Geschlecht“ in Ernst von Wolzogens gleichnamigem Roman hin: das „unnatürliche“ Geschlecht der studierten, intellektuellen oder künstlerisch tätigen Frau, die sich normierten Lebensformen entzieht. Der Roman erschien 1899. Die Wirkung hielt an. „Emanzipation erfolgt schrittweise“, sagt Steimel. Die der Geschlechter dauert offenbar am längsten.
Margarete Oehm und ihr Werk
Künstlerin Margarete Oehm wurde 1898 in Stuttgart geboren und starb dort 1978. Ihr Vater war Teilhaber einer Lackfabrik. Sie erhielt zunächst privaten Mal- und Zeichenunterricht, bildete sich auf Reisen unter anderem nach Worpswede und später Paris künstlerisch weiter. 1923 wurde sie Schülerin Willi Baumeisters, 1926 heirateten sie.
Ausstellung Die Ausstellung „Margarete Oehm – Kunst ist Poesie“ in der Fritz und Hildegard Ruoff Stiftung in der Schellingstraße 12 in Nürtingen ist vom 2. bis 17. September samstags und sonntags jeweils von 14 bis 18 Uhr zu sehen. Die gezeigten Bilder stammen aus dem Archiv Baumeister, wo Margarete Oehms erhaltenes Oeuvre aufbewahrt wird.
Sonderführung Zu einem „Mädelsabend mit Kunstgenuss“ lädt die VHS ein. Am Mittwoch, 13. September, um 19 Uhr sind interessierte Frauen zum Rundgang mit Kunsthistorikerin Constanze Halsband eingeladen, die in das Leben und Werk von Margarete Oehm einführen wird. Anmelden kann man sich unter der Nummer 0 70 22/7 53 30 mez