Am morgigen Totensonntag wird in den evangelischen Kirchengemeinden an die Verstorbenen des Kirchenjahrs erinnert. Der Bestatter Giovanni Incorvaia hat Tag für Tag mit dem Thema Sterben zu tun. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was ihn dazu bewegt hat, diesen verantwortungsvollen Beruf beim Kirchheimer Bestattungsinstitut Holt zu erlernen und wo die Herausforderungen liegen.
Wie reagieren Leute, wenn Sie sagen, was Sie beruflich machen?
Giovanni Incorvaia: Es herrscht immer erst großes Erstaunen. Meistens muss ich dann aber den ganzen Abend erzählen.
Wie kamen Sie darauf, Bestatter zu werden?
Incorvaia: Weil ich Italienisch beherrsche und Eva-Maria Holt meine Tante ist, habe ich schon mit 15 Jahren Überführungen nach Italien begleitet. Es war eine ehrenvolle Aufgabe, den Angehörigen zu ermöglichen, die Verstorbenen in ihrer Heimat beizusetzen. Es ist eine Vertrauenssache, seine Angehörigen in andere Hände zu übergeben. Während der Realschule habe ich dann ein Praktikum hier gemacht. Das hat mir sehr, sehr gut gefallen, weil es sehr abwechslungsreich ist.
Was gehört dazu?
Man hat die Beratung der Angehörigen und plant die Beerdigung. Dazu gehört das Abholen von Verstorbenen. Ich bin beim Herrichten und Vorbereiten für die Aufbahrung dabei, hebe Gräber aus, begleite die Trauerfeiern und Beerdigungen. Wir garantieren den reibungslosen Ablauf.
Da braucht es viel Fingerspitzengefühl.
Je nachdem, was für ein Todesfall eintritt, wie alt die Person ist, wie plötzlich der Tod eingetreten ist, umso sensibler können die Angehörigen sein. Schwierig ist, dass man nie vorher weiß, wenn man in das Haus kommt, wie die Angehörigen reagieren. Wenn ein Kind stirbt, ist das sehr schwer, wenn ein hochbetagter Mensch mit Mitte 90 stirbt, kann es auch eine Erlösung sein. Meine Aufgabe ist es, den Angehörigen zur Seite zu stehen.
Was machen Sie, wenn Sie zu Hinterbliebenen kommen?
Wir sind immer zu zweit, gehen ins Haus, sprechen unsere Anteilnahme aus und setzen uns erstmal in Ruhe an den Tisch.
Ist Ruhe das Schlüsselwort?
Ja, und vor allem, sich Zeit zu nehmen. Alles in Ruhe zu besprechen, finde ich ganz wichtig, damit die Angehörigen nachvollziehen können, was passiert. Mir ist es wichtig, ihnen zu erklären, dass der Verstorbene bei uns in guten Händen ist.
Werden Sie auch nachts angerufen?
Wenn ein älterer Mensch stirbt, warten die Ehepartner auch mal bis zum nächsten Morgen. Jüngere möchten meist, dass wir direkt kommen, sobald der Arzt den Tod bestätigt hat. Manchmal werden wir auch gebeten, erst zu kommen, wenn es dunkel ist, damit es nicht so viele mitkriegen.
Gibt es Angehörige, die beim Waschen und Anziehen der Verstorbenen gerne dabei sein möchten?
Das gibt es pro Jahr zwei-, dreimal. Wir sind da ganz offen, aber wenn ein Angehöriger dann doch keine Kraft dazu hat, übernehmen wir, oder wir machen es gemeinsam. Ich finde es sehr schön, wenn Angehörige dabei sind, sie begleiten ihren Verstorbenen bis zum letzten Moment. Das ist manchen wichtig, aber man muss es können.
Sie können es.
Man lernt, damit umzugehen. Ich lerne immer mehr dazu, weil ich mit so vielen Situationen konfrontiert werde.
Schöpft man irgendwann aus der Erfahrung?
Man bekommt Routine, aber kein Sterbefall ist wie der andere, und jeder Angehörige ist anders. Man muss auf seine Wortwahl achten und sehr einfühlsam sein. Es kann sein, dass der ein oder andere Angehörige auch mal schmunzelt, während andere ganz ernst und in tiefer Trauer sind.
Gibt es Dinge, die Sie beschäftigen?
Wenn Verstorbene im Alter von meinen Eltern sind, denke ich darüber nach, das könnten auch meine Eltern sein. Wenn es Leute in meinem Alter sind oder Kinder, das nimmt mich mit. Das nehme ich auch mit nach Hause. 2010 musste ich meinen Klassenkameraden nach einem Unfall holen. Es gibt Momente, die vergesse ich mein Leben lang nicht.
Da hat man auch schreckliche Bilder im Kopf.
Ja, das prägt einen. Viele fragen, wie verarbeitest du das? Ich geh gern mal spazieren, aber so wirklich habe ich keine Antwort drauf. Ich tausche mich mit Kollegen aus. Ich habe gelernt, damit umzugehen.
Gibt es eine psychologische Betreuung?
Wenn wir Bestatter das bräuchten, müssten wir uns selbst an einen Psychologen wenden. Polizisten und Feuerwehrleute werden am Unfallort seelsorgerlich betreut. Wir nicht.
Wie betrachten Sie einen Verstorbenen?
Er ist für mich immer noch ein Mensch. Der Umgang mit einem Verstorbenen muss immer würdevoll und pietätvoll sein. Für die Angehörigen ist es ja das Liebste, das Ihnen genommen wurde.
Entsprechend ist auch der Umgang.
Genau. Viele wissen nicht, dass sich nach ein paar Stunden die Totenstarre löst. Man kann auch durch Massieren die Muskeln wieder beweglich machen. So kann man den Arm und die Schulter bewegen. Das erleichtert das Ankleiden. Kürzlich bin ich gefragt worden, ob wir Knochen brechen würden. Da kriege ich eine Gänsehaut.
Hat sich in den letzten Jahren in der Bestattungskultur etwas geändert?
Es gibt immer mehr Feuerbestattungen. Die Angehörigen haben die verschiedensten Wünsche und Vorstellungen. Die Trauerfeiern werden immer aufwendiger.
Häufig wird inzwischen bei Beerdigungen auch moderne Musik gespielt.
„Amoi seg‘ ma uns wieder“ von Andreas Gabalier wird oft gewünscht und „Das Leben ist schön“ von Sarah Connor. Das finde ich persönlich sehr, sehr schön. Natürlich sollte die Musik immer zu dem Verstorbenen passen.
Ist es hilfreich, wenn hinterlegt ist, was ein Verstorbener sich wünscht?
Definitiv. Ich habe mir schon mit 20 aufgeschrieben, wie ich was haben will. Ob Erd- oder Feuerbestattung - das ist der größte Punkt. Es wäre nicht schön, wenn jemand nicht verbrannt werden will, sich die Familie aber dafür entscheiden würde.
Gibt es spezielle Traditionen?
Wenn wir einen Verstorbenen nach Schopfloch bringen, sind wir fünf Minuten vor der vereinbarten Uhrzeit vor dem Ortsschild. Wir warten dann bis die Glocken erklingen, dann fahren wir mit dem Glockengeläut ins Dorf und die Familie, egal ob es fünf oder 20 Leute sind, empfängt auf dem Friedhof den Verstorbenen.
Bekommen Sie auch Feedback?
Sehr viel sogar und das von Anfang an. Ich war ja jung mit 17 und hatte immer Angst, wenn ich meine Anteilnahme ausspreche, dass jemand zu mir sagt, wie wollen Sie unseren Schmerz denn nachvollziehen? Aber im Gegenteil: Die Leute waren überrascht und froh, dass auch mal ein junger Bestatter da ist. Die Angehörigen merken, wenn es würdevoll gemacht ist und man ihnen zeigt, dass man für sie da ist. Nach einer stimmigen Trauerfeier wird uns sehr viel Dankbarkeit entgegengebracht.
Bei vielen ist der Tod ein Tabuthema. Hat sich durch Ihren ständigen Umgang mit Verstorbenen etwas in Ihrer Familie geändert?
In meiner näheren Umgebung wird immer mehr über das Thema gesprochen. Selbst meine 95-jährige Oma, die Ursilzilianerin ist und bei ihrer Tochter in Mailand lebt, hat mittlerweile gesagt, dass sie dort in einer Urne beigesetzt werden möchte. Bis letztes Jahr war es immer ihr Wunsch, im Sarg in die Heimat nach Sizilien überführt zu werden. Eigentlich ist es in Italien gar nicht üblich, über den Tod zu sprechen.
Hat der Tod für Sie an Schrecken verloren?
Das ist eine gute Frage. Ich glaube, jeder hat ein bisschen Angst vor dem Tod, weil niemand weiß, was danach kommt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass danach nichts ist.
Wegen Corona sind die Beerdigungen derzeit klein. Wie gehen die Angehörigen damit um?
Die einen sagen, es ist schade, es wären 300 oder 400 Leute gekommen, der Papa oder die Mama war so bekannt. Andere sagen, es ist mir nicht so unrecht, dann müssen wir es nicht so groß machen.
Welche Vorkehrungen müssen Sie treffen?
Es waren ungefähr 20 Verstorbene, die mit Corona infiziert waren. Wir müssen einen Schutzanzug anziehen, dazu eine Maske, eine Brille und Schuhüberzieher. Die Verstorbenen müssen in eine sogenannte Bergungshülle, die verschlossen wird und auch nicht wieder geöffnet werden darf.
Hat bei Ihnen auch das Lachen Platz?
Bei Angehörigen und im Umgang mit den Verstorbenen, auch an der Trauerfeier nicht. Wir haben immerhin mit Tod und Sterben zu tun. Es gab aber selbst Bestattungen, da hat die ganze Trauergemeinde geschmunzelt. Entweder wurde ein Witz vorgelesen, den der Verstorbene gerne erzählt hat oder man hat ein Lied gehört, das man nicht erwartet hätte. Privat bin ich ein sehr humorvoller Mensch und lache viel.
Sie sitzen hier im Büro nicht im Anzug.
Bei Abholungen sind wir immer in schwarz. Bei der Beerdigung traditionell auch mit schwarzer Krawatte. Das gehört sich. Die ein oder anderen Kollegen in anderen Bestattungsunternehmen haben schon versucht, legerer aufzutreten. Das kommt bei den Angehörigen nicht gut an.
Haben Sie denn eine Vorstellung von Ihrer eigenen Todesanzeige?
Da muss der „Gio“ rein oder am besten ein Bild von mir. Viele wüssten gar nicht, wer Giovanni Incorvaia ist. Ältere Angehörige verstehen Incorvaia nicht und fragen oft, ob Ingo Maier zu sprechen ist. Das ist inzwischen im Büro mein Spitzname.