Die Flatterbänder der Polizei sind längst entfernt und auf den ersten Blick sieht der Bahnhofsplatz aus wie immer. Menschen eilen hin und her, am Taxistand warten die Fahrer auf Kundschaft. Aber es liegt etwas in der Luft, denn die beiden Anschläge auf einen Barbershop am Samstag, 25. Februar, und auf eine Shisha-Bar am vergangenen Sonntag, bei denen im ersten Fall ein 66-Jähriger durch Schüsse schwer verletzt und zuletzt ein 34-Jähriger durch einen Streifschuss leicht verletzt wurde, treiben die Menschen um.
„Wir sprechen viel über die beiden Vorfälle. Mir ist schon mulmig, wenn ich morgens die Tische und Stühle draußen herrichte“, berichtet eine Verkäuferin und setzt nach, normalerweise sei sie nicht ängstlich.
Nur wenige Schritte von ihrem Arbeitsplatz entfernt ist am 25. Februar ein Gastwirt durch ein Projektil schwer verletzt worden, als er nachsehen wollte, woher der Lärm am benachbarten Barbershop kommt. Der Wirt stieß auf zwei vermummte Gestalten, von denen eine das Feuer auf ihn eröffnete. „Er war zur falschen Zeit am falschen Ort“, beschreibt die Verkäuferin das Geschehen und ihre Kollegin nickt.
„Ich fühle mich richtig unwohl“, meint eine Mitarbeiterin der Kommunalverwaltung, die gerade im Café in der Marktstraße Mittagspause macht. Sie meide inzwischen die Innenstadt, und wenn sie mit ihrem Sohn dort ein Eis essen wolle, fahre sie vor lauter Vorsicht mit dem Auto und parke in der Nähe der Eisdiele.
Drei alteingesessene Plochinger sind sich einig, dass sich in ihrer Kleinstadt vieles zum Unguten verändere. Überall seien neue Barbershops und Bars entstanden, nicht nur in der Fußgängerzone, vor allem auch in der Bahnhofstraße, zählt einer der beiden Männer auf. Er frage sich schon, ob das alles „Geldwaschanlagen“ seien, denn so viele Friseure brauche doch niemand – und ob die zunehmende Gewalt etwas mit rivalisierenden Banden zu tun hat, die ihren Einflussbereich abstecken, sei ebenfalls eine naheliegende Frage.
„Gewalt wird immer mehr ein Thema“, wirft sein Bekannter ein. Er erlebe als Trainer im Verein, dass die Kids häufig von ihren Killerspielen berichteten, das habe in den vergangenen 10 bis 15 Jahren stark zugenommen. Gleichzeitig sei der Respekt vor der Polizei und sogar vor den Rettungskräften geschwunden. „Das würde es in den USA so nicht geben“, meint einer der Männer. Da wüsste jeder, dass man schnell im Gefängnis lande, wenn man sich mit einem Cop anlegt.
„Ich als Frau gehe nachts nicht alleine durch die Stadt, da fühle ich mich unsicher“, meint die Dritte im Bunde und sogar der Bekannte räumt ein, dass er nachts die Marktstraße meidet. Viele drohten heute bei einem Streit gleich mit dem Rechtsanwalt, auch das sei eine neue Unsitte, und es komme ihr so vor, als ob der Täter- vor dem Opferschutz komme, wirft die Frau noch ein.
Zu geringe Polizeipräsenz
Ein paar Häuser weiter moniert ein Plochinger mit Migrationshintergrund die zu geringen Strafen in Deutschland, dadurch fehle einfach die Abschreckung. Ähnlich wie die Dreiergruppe vermisst auch der 39-Jährige die Polizei im Straßenbild und fordert deutlich mehr Streifen in der Stadt. Auch Videoüberwachung hält der Mann für eine gute Sache, während sein Freund beschwichtigend sagt, er fühle sich weiterhin sicher. Ganz anders reagiert ein eiliger Passant, der sich keine Sorgen um seine Sicherheit macht. „Das spielt sich alles in einer Blase ab und tangiert den normalen Plochinger Bürger nicht.“ Über die Hintergründe wolle er nicht spekulieren, hoffe aber, dass die Polizei mehr weiß, als sie sagt.
Auf schnelle Ermittlungserfolge hofft auch die Plochinger Verwaltungsspitze. „Wir als Stadt stehen im engen Kontakt mit der Polizei über mögliche Maßnahmen, um das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger wieder zu stärken. Dies wird auch Thema der nächsten Gemeinderatssitzung im Mai sein, zu der die Polizei eingeladen wurde“, sagt die Plochinger Beigeordnete Barbara Fetzer. Auf Grundlage der dann vorliegenden Kriminalstatistik könne man eine Diskussion zur Videoüberwachung im öffentlichen Raum führen, da diese nur an Kriminalitätsschwerpunkten rechtlich möglich ist.
„Wir haben schon überlegt, ob wir gemeinsam mit unseren Nachbarn einen privaten Sicherheitsdienst beauftragen sollen, erzählt eine Plochingerin, die in Reichenbach wohnt. Ab und zu verirre sich mal ein Betrunkener in ihren Vorgarten, aber mehr sei zum Glück noch nicht passiert.
Kriminalität unterm Durchschnitt
Fragt man die Polizei, ist Plochingen ein unauffälliges Pflaster. Beim Vergleich der Zahl der Straftaten pro 100 000 Einwohner liegt Plochingen mit 3561 Fällen leicht unter dem kreisweiten Durchschnitt, der 2021 insgesamt 3573 Fälle betrug. Dabei handelt es sich nach Angaben einer Polizeisprecherin um bereinigte Zahlen. Die absolute Zahl der Straftaten in Plochingen liege bei 5349, die Anzeigen der Bundespolizei müsse man aber abziehen, da sie die Bahn beträfen.
Die Fälle häufen sich im Raum Neckar-Fils
Zunahme: Seit dem vergangenen Jahr hat es in der Region Stuttgart eine Häufung von Tatorten gegeben, an denen scharf geschossen wurde. Die Polizei listet insgesamt zwölf Vorfälle auf. Die Serie begann in Stuttgart-Zuffenhausen im Juli 2022, während sich der jüngste Vorfall in Plochingen am Sonntag, 2. April, ereignet hat. Neben Stuttgart und dem Kreis Esslingen ist es auch im Kreis Göppingen mehrfach zu einem Schusswaffengebrauch im öffentlichen Raum gekommen. Dazu zählen die Vorfälle am 24. Februar in Donzdorf und Eislingen und am 20. März in Hattenhofen, wo der FDP-Kommunalpolitiker Georg Gallus in seinem Haus durch Schüsse schwer verletzt wurde. In Eislingen war eine Frau vor einer Shisha-Bar am Bein schwer verletzt worden.
Esslingen: Im Landkreis Esslingen werden zudem Vorfälle gezählt im September 2022 in Esslingen-Mettingen, am 15. Februar dieses Jahres in Ostfildern, am 25. Februar in Reichenbach und Plochingen und am 2. April erneut in Plochingen.
Ermittlungen: Das Landeskriminalamt hat angesichts des Ausmaßes der vielen Fälle die Ermittlungen an sich gezogen. cm