Immer wieder war in den vergangenen Wochen und Monaten von einer „Austrittswelle“ bei der Aichtaler Feuerwehr die Rede. Grund sind die anhaltenden Spannungen zwischen Stadtverwaltung und Feuerwehr, ausgelöst durch die Debatte um eine Zusammenlegung aller drei Abteilungen in Aichtal. Lange war diese Austrittswelle ausgeblieben, doch seit einigen Wochen machen in der Stadt Gerüchte die Runde, dass zahlreiche Feuerwehrleute tatsächlich aus dem Dienst ausgetreten sein sollen. Die Sorge um die Leistungsfähigkeit der Rettungskräfte steigt. Bereits im Oktober hatten der Feuerwehrkommandant und dessen drei Stellvertreter ihre Ämter niedergelegt. Presseanfragen werden seit Dezember sowohl von der Stadtverwaltung als auch von der Feuerwehr, mit Verweis auf den laufenden Mediationsprozess, abgewiesen.
Angesichts der anhaltenden Gerüchte in der Stadt sah sich die Verwaltung nun doch gezwungen zu reagieren. Bürgermeister Sebastian Kurz bestätigt, dass aktuell mehr als 30 Feuerwehrleute im Dienst fehlen. „Dazu zählen Austritte, Dienstpflichtbefreiungen und Übertritte in die Altersabteilung.“
Filderstadt unterstützt Aichtal
Mit Blick auf das angelaufene Mediationsverfahren gibt sich Kurz zurückhaltend. „Aber natürlich betrachte ich diese Entwicklung und die stark eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Feuerwehr Aichtal mit Sorge“, so Kurz und ergänzt: „Wir alle müssen uns anstrengen, um die Situation so schnell wie möglich zu stabilisieren.“ Um die Sicherheit der Bürgerschaft zu gewährleisten, rückt bei Bedarf die Feuerwehr Filderstadt mit aus. Die Stadtverwaltung Filderstadt bestätigt, dass man die Feuerwehr in Aichtal seit dem Jahreswechsel verstärkt unterstützt.
Doch was passiert, wenn die Zahl der Beurlaubungen weiter ansteigt? Laut Feuerwehrgesetz Baden-Württemberg hat die Gemeinde die Pflicht, eine leistungsfähige Feuerwehr aufzustellen. Eine genaue Angabe, ab welchem Punkt eine Feuerwehr nicht mehr leistungsfähig ist, gibt es allerdings nicht. Im Feuerwehrbedarfsplan der Stadt Aichtal, der zuletzt im Jahr 2022 fortgeschrieben wurde, stellte ein externer Dienstleister bereits vor zwei Jahren fest, dass die Personalsituation kritisch sei. Besonders in Neuenhaus fehlten demnach Feuerwehrleute. Lediglich 13 Mitglieder zählte die Abteilung im Jahr 2022. Auch bei der Abteilung Grötzingen sah man Handlungsbedarf. Zwar hatte die Abteilung 35 Mitglieder, von denen waren aber tagsüber lediglich vier verfügbar. „Die Verfügbarkeit der Abteilungen Grötzingen und Neuenhaus ist planerisch im Zeitbereich Montag bis Freitag tagsüber kritisch“, so die Feststellung im Feuerwehrbedarfsplan.
Was ist eine Pflichtfeuerwehr?
Sollte eine leistungsfähige Feuerwehr nicht zustande kommen, hat eine Gemeinde nach dem Feuerwehrgesetz Baden-Württemberg die Möglichkeit, eine Pflichtfeuerwehr einzuführen. In einem solchen Fall kann eine Kommune alle Bürger im Alter zwischen 18 und 50 Jahren zum Dienst in der Gemeindefeuerwehr verpflichten. Laut Landratsamt Esslingen ist es bisher im Kreis noch nie vorgekommen, dass eine Pflichtfeuerwehr einberufen werden musste. Die Heranziehung von Bürgern in die Feuerwehr sei „nur als letztes Mittel zulässig“, sagt Nicole Klöckner, Sprecherin des Landratsamtes: „Vorher wäre zu prüfen, ob sich im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit nicht anders Abhilfe schaffen ließe.“
Derzeit läuft ein Mediationsprozess, an dem Mitglieder von Feuerwehr und Stadtverwaltung teilnehmen. Die Gräben zwischen beiden Parteien soll Matthias Berg zuschütten, der als Mediator ausgewählt wurde. Berg war von 2003 bis 2014 Stellvertreter des Landrats im Landkreis Esslingen. Einer größeren Öffentlichkeit wurde er als Paralympics-Sportler und mehrmaliger Goldmedaillengewinner bekannt. Anschließend war er als TV-Moderator und Experte bei den Paralympics tätig. Außerdem ist Berg ausgebildeter Mediator und gibt unter anderem Seminare für Führungskräfte großer Unternehmen. Zwischen einer Feuerwehr in einer Stadt habe er noch nie vermittelt, sagt er. Bisher habe es erst zwei Treffen gegeben. Um den Prozess nicht zu stören, könne er nicht näher auf die Mediation eingehen, so Berg auf Anfrage.