Landgericht verurteilte den 27-Jährigen
Mehr als vier Jahre 
für den Entführer

Nach sieben Verhandlungs­tagen ging der Prozess gegen den 27-jährigen Mann zu Ende, der am 5. Mai des vergangenen ­Jahres eine 15-Jährige auf der Toilette des Max-Planck-Gym­nasiums in Nürtingen überfallen und mit Klebeband gefesselt hatte. Der Täter muss für vier Jahre und drei Monate ins Gefängnis.

Nürtingen/Stuttgart. Der 27-jährige Täter muss dem Mädchen ein Schmerzensgeld von 6 040,22 Euro bezahlen sowie sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden ersetzen, die ihr aus der Tat entstehen. Die Vierte Große Jugendkammer des Stuttgarter Landgerichts um Richterin Cornelie Eßlinger-Graf betrachtete die Tat als Freiheitsberaubung in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung. Angeklagt war der Mann eigentlich wegen Menschenraubs, doch hierzu fehlte der Nachweis, dass der Mann geplant hatte, das Mädchen in einer hilflosen Lage auszusetzen. Was er letztendlich vorhatte, bleibt im Dunkeln. Die Richterin hält den Mann für gefährlich.

So wurden an mehreren Tagen Zeugen gehört, die Licht ins Dunkel der Gedankenwelt des Angeklagten bringen sollten, sein Rechner und das Smartphone wurden ausgewertet. So entstand ein Bild des Angeklagten, der nach seinem Abitur nicht mehr viel auf die Reihe bekam, mehrere Studiengänge und Ausbildungen abbrach. Früh begann er zu trinken und entwickelte eine Alkoholabhängigkeit. Beziehungen waren nicht von Dauer, dafür hatte der 27-Jährige eine Vorliebe für pornografische Gewaltdarstellungen. Der psychiatrische Gutachter attestierte dem Mann eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, dissozialen und schizoiden Zügen.

Doch weder die Alkoholabhängigkeit des Mannes noch seine Persönlichkeitsstörung ist für das Gericht ein Grund, verminderte Steuerungsfähigkeit anzunehmen. Der Zugriff auf das 1,60 große und 50 Kilogramm schwere Mädchen erfolgte wahllos und gezielt, ohne zu zögern. Der Angeklagte benutzte ein Gewebe-Klebeband und kümmerte sich nicht darum, ob das Mädchen noch atmen konnte. Dann schnürte er sie zu einem Paket zusammen und versuchte sie in einer großen Sporttasche nach eigener Aussage „an einen Ort zu bringen, an dem wenig Menschen sind“.

Nur durch Zufall konnte sich das Opfer das Klebeband von der Nase ziehen. Glück war auch die dilettantische Tatausführung: Als der Angeklagte bemerkte, dass er das Mädchen in seiner großen Tasche nicht tragen konnte, brachte er es zurück in die Toilette und flüchtete. Dass er sich noch am Abend stellte, wurde zu seinen Gunsten ausgelegt, ebenso das Geständnis und die geringen körperlichen Verletzungen der 15-Jährigen. Zu seinen Ungunsten wertete das Gericht, dass der Mann beharrlich schwieg zum Motiv seiner „bizarren und ungewöhnlichen Tat“, wie es die Richterin ausdrückte.

Die anderen, mit angeklagten Taten, ein fast folgenloser Faustschlag gegen zwei ehemalige Mitbewohner, Widerstand, Beleidigung und Körperverletzung gegen Polizeibeamte, wurden unter anderem – weil der Mann Bewährungsbrecher ist – zu einer Gesamtstrafe von drei Monaten zusammengezogen. Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt kommt nicht infrage, da der Alkohol bei der Entführung keine Rolle spielte.

„Die Tat ist ein dicker Hinweis auf die Gefährlichkeit des Mannes“, so die Richterin in ihrem Schlusswort.