Was für eine Lage, was für eine Aussicht! Nördlich des Neckars, im sogenannten Flecken der Gemeinde Neckartailfingen, sitzen die meisten Häuser am Hang. Der Blick geht nach Süden, der Sonne entgegen. Eine tolle Wohngegend – doch eines fehlt nach dem Geschmack von elf Männern aus dem Ort, aus Nürtingen und Kirchheim: Es sind kaum Dächer mit Photovoltaikanlagen (PV) belegt. Dabei ist der Standort prädestiniert für die Energiegewinnung. „Es wäre perfekt, aber es machen zu wenige“, sagt Andreas Wind. „Das tut weh.“
Der 53-Jährige ist Teil der Gruppe, die das ändern möchte. Die elf Männer haben jüngst die Dolfenger Energie eG gegründet, eine Energiegenossenschaft in Bürgerhand. Deren Grundidee: die Energiewende maßgeblich vorantreiben und die 4000-Seelen-Gemeinde auf lange Sicht autark machen. Dafür müssten die Zahl der PV-Anlagen deutlich erhöht und die Energieproduktion im Ort hochgefahren werden.
Beratungsbedarf ist groß
Gerade das Thema Photovoltaik sei ausbaufähig. Maximal zehn Prozent der Dächer im Ort seien mit Solarzellen ausgestattet. Gleichwohl interessiere das Thema viele Menschen, haben die Männer festgestellt. „Der Beratungsbedarf ist relativ groß“, sagt der 57-jährige Henry Leukert. Bei den Techniken gebe es Unterschiede, die Wartezeiten seien lang und Handwerker rar. Manfred Schüssler (65) spricht zudem von „Mondpreisen“. Zudem gehe „der Service den Bach runter“.
Hier wollen die Genossenschaftsmitglieder mit Aufklärung punkten und den Neckartailfingern bei der Materialbeschaffung und der Suche nach Fachleuten unter die Arme greifen. Zentral sei, neben der PV-Anlage auch in jedem Fall einen Langzeitspeicher zu installieren. Private Erfahrungen mit der Energiegewinnung haben sie alle. Jedes Mitglied hat eine PV-Anlage auf dem Dach. „Es ist keine Raketenwissenschaft“, versichert Frank Müller (52) lachend.
Die Männer sind Kollegen, Nachbarn, Vereinskumpels, Cousins. Jeder bringt bestimmte Kompetenzen mit. Einer ist Architekt, der andere Banker, wieder andere sind Techniker oder Elektriker, der eine arbeitet im Vertrieb von PV-Anlagen, der Nächste ist Wirtschaftsingenieur. „Wir ergänzen uns“, sagt Andreas Wind. Die Idee, das geballte Know-how in puncto grüner Strom zu professionalisieren, habe in der Gruppe schon lange geschwelt. „Der Ukraine-Krieg hat das befeuert“, erzählt Henry Leukert.
An Ideen mangelt es der Herrenrunde nicht, sei es zu Wärmeversorgungskonzepten, zum Thema Wasserstoffproduktion oder zur Nutzung des Neckars. „Wenn wir autark sein wollen, können wir nicht nur auf eines gehen“, sagt Andreas Wind. Langfristig schwebt der Gruppe vor, sich als Energieversorgungsunternehmen zu positionieren. Für Henry Leukert ist das „die logische Konsequenz“. Zunächst sollen aber weitere Mitstreiter gewonnen werden, ebenso Dächer, auf denen Strom produziert werden kann. Demnächst will die Genossenschaft einen öffentlichen Informationsabend veranstalten. „Was einer nicht schafft, schaffen viele“, gibt Julian Santner, der mit 35 Jahren zu den Jungen gehört, als Motto aus.
PV-Anlage für die Turnhalle
Ein Pilotprojekt hat die Dolfenger Energie schon ausgeguckt: Sie will dem Bürgermeister schmackhaft machen, dass die Genossenschaft eine stattliche PV-Anlage mit einer Leistung von mehr als 100 Kilowatt-Peak auf der Turnhalle aufbaut und die Gemeinde dann den Mieterstrom bezieht. Startkapital ist da. Bei der Gründungsveranstaltung der Genossenschaft zeichneten die elf Männer in Summe 59 Genossenschaftsanteile zu je 500 Euro. Henry Leukert betont: „Wir wollen auch unsere Rendite.“ Derzeit gehe es ihnen aber in erster Linie darum, den Ort voranzubringen. „Es geht um reale, praktische Lösungen“, sagt er. Julian Santner fügt hinzu: „Und um die Lösung für die Kinder. Und irgendwann die Kinder der Kinder.“