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Mehr Freiheit für das Federvieh

Experiment Studenten der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt erforschen derzeit an Masthühnern, wie sich ein Mehr an Tierwohl auswirkt. Von Sylvia Gierlichs

Wer von Reudern nach Oberboihingen fährt, der kennt sie, die mobilen Hühnerställe der Landwirts-Familie Beck. Hier leben Legehennen ganzjährig mit Auslauf. Geht das nicht auch für Masthühner? Das wollen Studenten der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen auf dem Hofgut Tachenhausen herausfinden. Im Sommer hat der Versuch begonnen. Zunächst in einem kleinen Stall mit nur 30 Masthühnern. Und der Versuch gelang. Die Tiere entwickelten sich prächtig, durften 60 Tage leben, den Großteil davon im Auslauf verbringen und brachten am Ende 1,9 Kilogramm auf die Waage. Geschlachtet wurden die Tiere in Westerheim. „Der Schlachter war sehr zufrieden“, berichtet Jan Leistikow. Der Auslauf scheint sich positiv auf die Fleischqualität ausgewirkt zu haben. Diese tierfreundliche Haltungsform hatte allerdings auch ihren Preis. 13 Euro pro Kilo Fleisch mussten bezahlt werden.

Der Wintergarten kommt gut an

Nun geht das Forschungsprojekt in die zweite Runde. Mit 150 Masthähnchen. Sie kamen Mitte Oktober als Eintagsküken nach Tachenhausen und verbrachten die ersten Wochen unter der Wärmelampe im Stall. Seit fast zwei Wochen sind sie nun in einem Luxusdomizil, einem mobilen Hühnerstall beachtlichen Ausmaßes. Der ist für 600 Masthühner ausgelegt, sodass die 150 Exemplare nur die Hälfte des Wagens belegen. „So richtig draußen waren sie noch nicht, aber das kommt. Im Moment halten sie sich noch im Wintergarten auf, den finden sie total cool“, berichtet Leistikow.

Wenn der Auslauf dann auch noch mit Unterschlüpfen bestückt ist, steht der Bewegung im Freien nichts mehr im Wege. Doch in einer Hochschule passiert nichts zufällig. Was wird von den Tieren besser angenommen? Die üblichen Europaletten, aufgestellt zu einem kleinen Dach? Oder ein Dächlein aus Baustahl, über das eine Plane oder ein Tarnnetz gelegt werden kann, wie es auch die Bundeswehr einsetzt? „Man muss sich aber auch klarmachen, dass das Huhn ursprünglich aus Südostasien kommt und dort auch Dschungelregionen bewohnt“, sagt Leistikow. Es kann also durchaus sein, dass der Unterschlupf mit Tarnnetz dem natürlichen Lebensraum des Huhns näherkommt und besser angenommen wird.

Der mobile Hähnchenstall ist vollgestopft mit Technik. Fütterung und Trinkwasser werden über einen Computer gesteuert. Den bedient Simon Stark, Mitarbeiter in der Tierhaltung. Mitte Dezember ist Schlachttag. „Landwirt Beck aus Oberboihingen hat eine mobile Schlachtanlage und kommt zu uns auf den Hof“, sagt Decker. Das spart den Studierenden nicht nur die Organisation eines Transports, sondern den Hähnchen auch jede Menge Stress, der sich auf die Fleischqualität auswirkt. „Ich finde es gut, so eine regionale Kooperation aufzubauen“, sagt Decker.

Fleisch geht an Wiederverkäufer

Wie schon im Sommer ist Eileen Decker auch dieses Mal wieder für die Vermarktung des Fleisches zuständig. Dieses Mal werden die Tiere nicht unter den Studierenden verkauft, sondern an Wiederverkäufer abgegeben. 13 Euro pro Kilogramm lassen sich da natürlich nicht erzielen, da auch die Wiederverkäufer Aufwand mit der Vermarktung haben und dieser bezahlt werden muss. „Wie eng Landwirte kalkulieren müssen und was um die Vermarktung herum alles beachtet werden muss, erleben wir gerade hautnah mit“, sagt Jan Leistikow.

Wie hoch der Verkaufspreis an den Endverbraucher ist, legen die Wiederverkäufer eigenständig fest. Auch die Vermarktung erfolgt regional, beispielsweise in der Wendlinger Metzgerei Scheible oder in Großbettlingen bei der Metzgerei Kraus. Jörg Ebermann vom Restaurant Linde in Oberboihingen gehört ebenfalls zu den Abnehmern. Zudem wird das Fleisch online vermarktet.

Nach dem Schlachttag geht für die Studierenden dann die wissenschaftliche Arbeit los. Alle Erkenntnisse aus Haltung und Vermarktung fließen ein. Bis Ende Januar muss diese Arbeit fertig sein und den Professoren vorgelegt werden. Ziel ist es, die Haltungsform so zu entwickeln, dass sie maximales Tierwohl und artgemäße Haltung bietet, gleichzeitig aber auch für Landwirte interessant und praktikabel wird.

 

Was war zuerst da – das Huhn oder das Ei?

Raubsaurier: Das konnten Forscher bereits herausfinden, es war das Ei. Das nette kleine Haushuhn stammt nämlich von „aufgetakelten Reptilien“ ab, wie der englische Naturforscher Thomas Henry im 19. Jahrhundert herausfand. Die Ahnen des Haushuhns waren eier­legende und ziemlich gefährliche Raubsaurier.
Wildhuhn: Das Haushuhn (mittelhochdeutsch huon), wie wir es kennen, gibt es aber auch schon ganz schön lange. Es ist eine Zuchtform des Bankivahuhns, eines Wildhuhns aus Südostasien, und gehört zur Familie der Fasanenartigen. Nach seiner Domestizierung gelangte das Huhn etwa ab dem 3. Jahrtausend vor unserer Zeit nach Westasien und in den Nahen Osten, dann etwa im 9. oder 8. Jahrhundert vor Christus schließlich auf den europäischen Kontinent.
Haustier: Das Haushuhn gilt weitläufig als das häufigste Haustier des Menschen – der durchschnittliche tägliche Weltbestand wird auf mehr als 20 Milliarden Tiere geschätzt. sg