Zwischen Neckar und Alb
Messerstecher-Prozess: Der Angeklagte will Stimmen gehört haben

VerbrechenEin 32-Jähriger muss sich wegen zwei Messerangriffen in Unterensingen verantworten.

Unterensingen. Die brutale Attacke mitten in Unterensingen hatte für Entsetzen in dem Ort gesorgt. Es war der Abend des 21. Mai, als ein Mann unvermittelt auf einen Passanten, der offenbar auf dem Heimweg vom Einkaufen gewesen war, mit dem Messer einstach. Das Opfer erlitt lebensgefährliche Verletzungen und konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Dafür verantworten muss sich seit Montag vor der 19. Großen Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts ein 32-Jähriger. Mit dem gleichen Klappmesser soll er kurz davor bereits auf den Vater seiner Lebensgefährtin eingestochen und ihn lebensbedrohlich verletzt haben. Die beiden sollen sich in einem Treppenhaus gestritten haben. Für die Taten ist der Mann aus Unterensingen nun wegen versuchten Mordes und versuchten Totschlags, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, angeklagt. Wie der Staatsanwalt ausführte, habe der Angeklagte vom Vater der Freundin abgelassen und sei weggerannt, als zwei Hausbewohner dazukamen. Diese Männer kamen auch dem zweiten Opfer zur Hilfe, worauf der Täter zu Fuß flüchtete. Er wurde drei Tage später in Stuttgart festgenommen und sitzt seit dem 25. Mai in Untersuchungshaft. Tagelang wurde nach ihm gesucht, unter anderem mit Spürhunden und per Polizeihubschrauber.

„Es war nicht meine Absicht, jemanden zu töten“, beteuerte der Angeklagte und wiederholte diese Aussage noch viele Male im Verlauf der Verhandlung. Weil er kein Geld mehr für Zigaretten hatte, habe ihm seine Freundin welches leihen wollen. Um den Geldbeutel zu holen, seien sie zu deren Wohnung gegangen, die sie zusammen mit ihrem Vater bewohnt. Der 73-Jährige habe die Tür geöffnet, zuerst die Tochter und dann ihn bedroht und geschlagen, schilderte der Angeklagte den Ablauf aus seiner Sicht. „Ich habe dann Stimmen gehört, die mir befohlen haben, auf ihn einzustechen – das tat ich dann auch“, sagte der 32-Jährige. Als die Stimmen aufhörten, sei er weggelaufen. Das Klappmesser mit einer acht Zentimeter langen Klinge habe er Monate vor der Tat zufällig an einer Bushaltestelle gefunden und es mitgenommen, weil die Stimmen das so wollten, so der Angeklagte. „Stich zu, stich zu, stich zu!“, hätten die Stimmen ihm eingesagt, als er nach dem Angriff im Treppenhaus draußen einem ihm unbekannten Mann begegnete. Laut Staatsanwalt soll der Angeklagte elf Mal auf sein zweites Opfer in den Rücken und in den Nackenbereich eingestochen haben. Ob er mitbekommen habe, was passiert sei, ob er beispielsweise Blut gesehen haben, wollte der Vorsitzende Richter wissen. „Ein paar Tropfen waren auf dem Asphalt“, erinnerte sich der Angeklagte.

Seit Jahren höre er immer wieder Stimmen, die ihm Befehle geben oder ihn beschimpfen, berichtete der Angeklagte. Auch seine Lebensgefährtin, die seit der Haft den Kontakt abgebrochen hat, habe ähnliche Probleme, sie höre ebenfalls Stimmen. Er selbst sehe oft auch Bilder an der Wand. „Diese Bilder und Stimmen sind für mich real. Es kann auch sein, dass plötzlich eine fremde Person in meinem Bett liegt oder sie mir den Finger in die Nase oder den Mund steckt“, sagte er. Als er einmal randaliert habe, hätten Nachbarn die Polizei gerufen und er sei in eine psychiatrische Klinik in Kirchheim eingeliefert worden, sagte der 32-Jährige. Auf seinen Wunsch sei er damals nach gut einem Monat entlassen worden. Nach eigenen Angaben konsumiert der 32-Jährige seit früher Jugend täglich Marihuana, andere Drogen wie Opium habe er lediglich ausprobiert. Alkohol trinke er nur gelegentlich. Als er erfahren habe, dass seine Freundin schwanger ist, habe er mit dem Drogenkonsum aber aufgehört. Seine kleine Tochter, die Anfang Mai und damit wenige Wochen vor der Tat auf die Welt kam, hat er nie gesehen. Sie kam nach der Geburt in eine Pflegefamilie. Der Prozess wird fortgesetzt. Petra Pauli