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Mistel-Projekt in Bissingen: Minusgrade schrecken Helfer nicht ab

Baumpflege Trotz Schnee kamen über 40 Leute zur Landschaftspflege im Naturschutzgebiet „Teck“. Gemeinsam befreiten sie Bäume von Misteln.Von Peter Dietrich

Es gibt Fake News, die sind nicht tot zu kriegen. Eine davon hört Jens Häußler, Obst- und Gartenbauberater beim Landkreis Esslingen, immer wieder: Man dürfe die Misteln nicht von den Bäumen entfernen, denn sie stünden unter Naturschutz. Das tun sie nicht. Es ist nur ohne Genehmigung der Unteren Naturschutzbehörde nicht erlaubt, Misteln – oder Pilze, Löwenzahn und andere Pflanzen – zu gewerblichen Zwecken aus der Natur zu entnehmen. Doch es ist dringend geboten, die Streuobstbäume von den Misteln zu befreien, bevor diese den Bäumen den Garaus machen.

Die Misteln bedrohen die Bäume zugleich auf zwei Arten, erklärte die Streuobstexpertin Beate Holderied: Sie ziehen Saft aus den Bäumen, und sie nehmen ihrem Wirt mit zunehmender Größe das Licht weg und behindern so die Photosynthese. Gemeinsam mit dem Nürtinger Planungsbüro „Stadt Land Fluss“ hat Holderied ein fünfjähriges Pflegekonzept für die Bäume im Naturschutzgebiet „Teck“ bei Bissingen erstellt. Dort hat sich die Weißbeerige Laubholzmistel von Linden und Pappeln aus massiv in den Apfelbäumen ausgebreitet. Die Mönchsdrossel, die Wacholderdrossel, Seidenschwänze, die Mönchsgrasmücke und viele andere wollen die Beeren und sorgen so für die Verbreitung der Mistel. Eine Mistel, sagt Holderied, könne 70 Jahre alt werden.

Die Landschaftspflegeaktion am Samstag sei der Auftakt für das langfristige Pflegeprojektkonzept, sagte die Erste Landesbeamtin Marion Leuze-Mohr. Eine solche Landschaftspflege im Winter sei eine Premiere. Der Bissinger Bauhof hatte seine morgendliche Räumrunde extra erweitert und den Feldweg ins Naturschutzgebiet mitgeräumt. So standen die über 40 Aktiven – 35 hatten sich zuvor angemeldet, ein paar weitere waren spontan hinzugekommen – erst auf der Wiese im tiefen Schnee. Auch Ingo Depner vom Regierungspräsidium Stuttgart hatte sich vom Winter nicht schrecken lassen, besonders stark waren die Obst- und Gartenbauvereine vertreten. „Viel besser als Dauerregen“, sagte ein professionell ausgerüsteter Mistelbefreier. Bissingens Bürgermeister Marcel Musolf war ebenfalls aktiv dabei und zeigte sich am Ende vom Ergebnis der Aktion höchst zufrieden. Abtransportieren mussten die Freiwilligen die entfernten Misteln und Äste nicht, das übernimmt der Bissinger Bauhof.

 

Akkus machen schlapp

Soll man die Stangensäge verwenden oder besser auf die Leiter steigen? Das sorgte manchmal für Diskussionen. Sägen gab es für den Handbetrieb, als Verbrenner und mit Akkus – wobei letztere in der Kälte schnell schlapp machen, Ersatz war angesagt und auch vorhanden. Jede Kleingruppe, die über die Wiese zog, hatte eine laminierte Karte dabei. Darauf waren mit vielen gelben und grünen Punkten die befallenen Bäume verzeichnet. Bei einem Baum mit grünem Punkt waren die Misteln nur an den Fruchtästen zu finden, beim gelben Punkt auch am Leitast oder Stamm. Dann musste radikal ins gesunde, dicke Holz geschnitten werden, auch wenn es innerlich wehtat. „Und so blöd es nachher auch aussieht“, sagte Häußler. Würde man die Misteln nur ausbrechen, warnte er, seien sie nach drei bis vier Jahren wieder da.

Beim anschließenden Leberkäsessen im Feuerwehrhaus wurde noch ein weiterer Aspekt des neuen Pflegekonzepts bekannt: Bisher bezog die Wala AG in Bad Boll die Misteln für ihre Arzneimittel aus Wildsammlungen im Schwarzwald oder der Rheinebene. Künftig soll sie Misteln aus dem viel näheren Naturschutzgebiet „Teck“ bekommen. Als Gegenleistung wird die Firma bei der Pflege der dortigen Bäume mitarbeiten. Einerseits habe die Firma, so erzählte einer ihrer Mitarbeiter aus Bissingen, Interesse an den Misteln bekundet, parallel habe das Büro „Stadt Land Fluss“ bei der Wala AG angefragt, ob diese nicht Misteln aus dem Naturschutzgebiet „Teck“ gebrauchen könne.

Wer wollte, konnte nach der Pflegeaktion Misteln nach Hause nehmen, dort können sich die Misteln nicht weiter verbreiten. Eine Helferin nahm Misteln für ihren Sohn mit. Er kann nun seine Freundin unter dem Mistelzweig küssen.