Carsharing
Mit dem E-Auto für 9,90 Euro: Lautlos von Weilheim zum Flughafen gleiten

Ist das E-Auto auf Leihbasis eine Alternative zu Bus und Bahn oder bei Kurzstrecke auch zum eigenen Auto? Wir haben den Test gemacht und sind vom Städtle zum Flughafen und zurück gefahren. 

Weitestgehend selbsterklärend: Die App ersetzt sogar den Autoschlüssel. Foto: Markus Brändli

Um das Image der Elektromobilität ist es aktuell nicht gut bestellt: zu teuer in der Anschaffung, zu lange Ladezeiten, zu kurze Reichweite und nicht einmal besonders umweltfreundlich – wenn man alle Teile des Herstellungsprozesses der Batterie mit einbezieht. Doch einen Vorteil haben Elektroautos unbestritten: Sie verursachen im Betrieb keine Emissionen, weder Abgase noch Geräusche. Die Weilheimer Landluft wird also nicht belastet, wenn man per E-Auto aus dem Städtle zum Beispiel zum Flughafen fährt. 

Das dachte sich der Autor dieser Zeilen, als er sich die App des Carsharing-Anbieters „deer“ herunterlud, um eine – fiktive – Fahrt in den Urlaub zu starten. Wer keine Lust aufs Kofferschleppen hat, dem ist vielleicht auch der Bus zum Flughafen zu umständlich. Auch für andere Fahrten durch die ländliche Region will der Anbieter aus Calw eine Alternative zum öffentlichen Verkehrsmittel bieten. Denn Carsharing erlaubt anders als konventionelle Autovermietungen auch ein kurzzeitiges Anmieten von Fahrzeugen.

Bei der Anmeldung via App muss unter anderem der Führerschein abfotografiert werden und dann ist sie weitgehend selbsterklärend. Hat man den Standort gebucht, zeigt sie gut an, wo sich das Auto befindet, was es für ein Fahrzeugtyp ist und welches Kennzeichen es hat. Kontakt mit Menschen braucht es nicht, denn es findet weder eine Schlüssel­übergabe statt noch der obligatorische Schaden-Check am Auto. Hier liegt es beim Nutzer: Entdeckt man eine neue Schramme, kann man die fotografieren und per App hochladen. 

 

Die Ladesäule muss aktiviert werden, sonst kann das Fahrzeug nicht zurückgegeben werden. Foto: Markus Brändli

Einen Schlüssel gibt es nicht

Statt Schlüssel gibt es einen „Öffnen“-Butten auf der App: Draufdrücken und die Autotür ist tatsächlich auf! Staunen. Praktikantin Kim weist den Redakteur noch auf ein nicht ganz unwichtiges Detail hin: Der Ladestecker steckt noch in der Säule. Dort lässt er sich relativ leicht rausziehen, aber aus dem Auto nicht. Anruf beim Kunden-Service. Einfach noch mal zuschließen und wieder öffnen. Dann geht es. Und das Ladekabel einfach in den Kofferraum legen. Gut zu wissen, das hat sich aus der App nicht erschlossen. 

Das nächste Staunen des gewohnheitsmäßigen Autoschlüssel-Besitzers und Verbrenner-Fahrers findet vor dem Losfahren statt: Wie startet man ein E-Auto ohne irgendwas in der Hand? Es gibt nämlich auch keinen Start-Knopf, wie er in modernen Verbrenner-Modellen gang und gäbe ist. Hilfe kommt vom Rücksitz, Praktikantin Johanna gibt den entscheidenden Hinweis: „Schau mal hinter dem Lenkrad, da ist ein Hebel.“ Tatsächlich, eine Art Mini-Automatik ist gut hinter der Lenkrad-Speiche versteckt. Dort gibt es die bekannten Symbole „D“ und „R“. Also auf „D“ gestellt und das Auto ist im „Drive“-Modus. Jetzt reagiert der Cupra auch auf das Gaspedal und zwar so, dass alle Insassen (zwei Praktikantinnen und ein Fotograf) in die Sitze gedrückt werden. Es ist wirklich ein anderes Fahrgefühl. 

Die Fahrt zum Flughafen erfolgt lautlos und wie im Flug. Das Parkhaus 14 ist schnell gefunden, dort geben wir den Wagen wieder ab. Allerdings ist die „deer-Parkbox“ nicht zu finden. Ein Anruf beim wirklich schnellen Service bringt Aufklärung: Die Haltebuchten sind auf dem Asphalt grün umrahmt – „und nicht bei den anderen abstellen, das kostet“, lautet der wichtige Rat.

Gesagt, getan. Für die Rückgabe ist es wichtig, die „Servicekarte“ in die Ladebox zu stecken, sonst klappt das „Auschecken“ nicht. Welche Servicekarte? Leider ist das Auto schon zu und mit App verriegelt. Also wieder anrufen beim netten Service-Mitarbeiter. Der fragt das Kennzeichen des Autos ab und – zack – ist die Tür wieder offen. Diese Technik begeistert. Praktischerweise findet sich auch noch der Geldbeutel des Autors in der Mittelkonsole, die Servicekarte ist im Handschuhfach.

Die Servicekarte kommt dann bei der Fahrt mit dem anderen Fahrzeug, das wir gebucht haben, an anderer Stelle zum Einsatz: bei der Fahrt durch die Schranke des Parkhauses. Klar, ein Anruf beim netten Service-Mitarbeiter, war vorausgegangen.

 

Der lautlose Weg zum Flughafen verging wie im Flug. Foto: Markus Brändli

Fazit: Es gibt Potenzial

Rückkehr und Rückgabe in Weilheim erweisen sich dann mit dem zuvor angeeigneten Wissen als völlig unproblematisch. „Beim ersten Mal ist die Zahl der Anrufe völlig normal“, hatte der Mitarbeiter beim letzten Gespräch an der Parkschranke beruhigt.

Fazit: Die Fahrt verlief ebenso leise wie angenehm, die App funktioniert problemlos und unkompliziert. Ein kleiner Wermutstropfen kommt beim Blick auf die Rechnung (siehe Kasten). Die Pauschale liegt aber auch an den Flughafenbetreibern. Bei einem längeren Urlaub und als Alternative zum Dauerparken rechnet sich das Angebot dann wieder.

Wie das Angebot in Weilheim, Bissingen und Owen angenommen wird, dazu schweigt das Unternehmen. Aber als Baustein für Mobilität in ländlichen Regionen hat das Angebot Potenzial. Denn ob und wann das Schienennetz ausgebaut wird, steht in den Sternen. Eine Infrastruktur aus Ladesäulen ist vergleichsweise schnell und günstig zu haben. Und für die Verkehrswende zur E-Mobilität ist das Angebot eine Art Appetithappen: Der Autor hat jedenfalls Gefallen gefunden am lautlosen Fahren ohne Schlüssel und Emissionen.

 

Beim ersten Mal fühlt man sich ein bisschen wie der Ochs vorm Berg. Aber das sei normal, versichert der Mann im Service. Foto: Markus Brändli

Kosten und Betrieb im Überblick

Der Anbieter deer hält sein Angebot recht simpel: Die erste Stunde kostet 9,90 Euro, egal ob man fünf oder 59 Minuten fährt. Danach wird im Viertelstundentakt für je 2,48 Euro abgerechnet. Mehr Kosten fallen nicht an – außer man fährt zum Flughafen. Dann wird pro Fahrt eine Pauschale von 30 Euro fällig. Dieser Punkt wird aus der App nicht ersichtlich. Man sei aber dabei, das Thema zu lösen, heißt es bei deer. Download und Anmeldung sind aber kostenfrei.

Die Stationen werden „so schnell als möglich“ wieder besetzt, wenn ein Auto unterwegs ist. In der Regel steht an einem unbesetzten Standort binnen 48 bis 72 Stunden wieder ein Auto. „Unser Dispoteam ist jeden Tag unterwegs, um unbesetzte Standorte wieder zu besetzen“, heißt es bei deer. Teilweise passiert das auch durch die Nutzerinnen und Nutzer, durch „One-Way-Buchungen“.zap