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Mit dem Roller auf den Hund gekommen

Tretroller Der Esslinger Andreas Böhm hat es in zwei Disziplinen zu deutschen Meisterehren gebracht. Auf den ersten Blick haben diese nichts miteinander zu tun. Von Andreas Pflüger

Man mag es kaum glauben, aber zwischen Tretrollerfahren und dem Zughundesport gibt es gleich mehrere Gemeinsamkeiten: Die Sportgeräte ähneln sich, es finden nationale sowie internationale Titelkämpfe statt und – der Esslinger Andreas Böhm ist in beiden Disziplinen amtierender deutscher Meister. Wer den 36-Jährigen schon einmal beim Training in Berkheim oder im Obertal, auf dem Jägerhaus oder im Schurwald gesehen hat, dem erschließen sich die Zusammenhänge schnell.

 

Wenn’s gut läuft, machst du damit im Rennen einen Schnitt von 30 Sachen.
Andreas Böhm

Denn der schmalbereifte Tretroller, den Böhm das ganze Jahr über hauptsächlich auf asphaltierten Strecken benutzt, hat so rein gar nichts mit dem allseits bekannten Kinderspielgerät zu tun. „Wenn’s gut läuft, machst du damit im Rennen einen Schnitt von 30 Sachen“, sagt er. Und so futuristisch das Gefährt auch aussehen mag, „einen ordentlichen Roller bekommst du für 500 bis 600 Euro“, fügt Böhm hinzu und verweist zudem auf den geringen Wartungsaufwand. Nur die Bremsen erforderten etwas Augenmerk, betont der Masseur und Physiotherapeut, der nach einer längeren Phase in seinem Beruf zurzeit im Praktischen Jahr seines Medizinstudiums steht.

Als Sport- oder als Therapiegerät

Zum Rollern gekommen ist der verheiratete Vater von vier Jahre alten Zwillingsmädchen, wenn man so will, aus gesundheitlichen Gründen: „Ich habe viel Trailrunning gemacht, bin also meist lange Strecken im Gelände gelaufen, habe dann aber immer wieder Knieprobleme bekommen.“ Als er das Tretrollerfahren einige Zeit getestet hatte, war Böhm plötzlich schmerzfrei. Verwundert hat ihn das nicht. „Man macht von der Bewegung her genau das, was im Alltag fehlt und uns oft leiden lässt. So gesehen ist ein Tretroller fast schon ein Therapiegerät“, erklärt er. Und mittlerweile gebe es tatsächlich Reha-Kliniken, die das entsprechend einsetzen würden, fügt der angehende Arzt hinzu.

Von seiner Labradorhündin Lotta wird Andreas Böhm mit dem Roller – oder auch mal mit dem Mountainbike – im Gelände über Stock und Stein gezogen. Foto: Harzfuchs/Hundestars

Für ihn selbst wiederum stehen allerdings die sportlichen Aspekte im Mittelpunkt. Böhms Devise: „Wenn ich etwas mache, dann zu hundert Prozent.“ Und so geht’s für ihn zu nationalen wie zu internationalen Wettbewerben. In den Euro-Cup hat er im vergangenen Jahr schon mal reingeschnuppert. Die WM musste er studienbedingt zwar sausen lassen, holte sich in Gelsenkirchen dafür aber den nationalen Titel auf der Langdistanz über 42 Kilometer. 2023 will er nun den gesamten Euro-Cup mitnehmen. Und eventuell auch die WM, die in Deutschland stattfinden könnte. Auf seiner To-do-Liste stehen zudem der Kraichgau-Ironman sowie das Langstreckenrennen Wien–Berlin.

Das mit dem „Zeit sparen“ funktioniert nicht

Im Winterhalbjahr spielt das Rollern an sich für den Oberesslinger dann eher die zweite Geige, wobei das Sportgerät als solches allerdings keine Pause bekommt. Mit breiteren Stollenreifen geht es auf einem vergleichbaren Gefährt – oder eben mal auf einem Mountainbike – über unbefestigte Wege. Dabei sorgt in der Regel eine „Zugmaschine“ für die richtige Geschwindigkeit: Seit drei Jahren ist seine Labradorhündin Lotta dafür zuständig, Böhm in Schwung zu bringen.

„Wir haben unseren Hund bekommen, und ich bin damit auf den Hund gekommen“, sagt er lachend und muss zugeben, dass es mit seiner ursprünglichen Intention nicht hingehauen hat. „Ich wollte eigentlich Zeit sparen, indem ich meine sportliche Betätigung und das Ausführen von Lotta unter einen Hut bringe“, erinnert er sich. So wurde die Hündin „aus Spaß“ mal vor einen Roller gespannt. „Und sie ging gleich ab wie Schmidts Katze“, erinnert sich der 36-Jährige. Während das also gut funktioniert hat, ist das mit der Zeit so eine Sache: „Selber trainieren, den Hund trainieren und sich als Team gegenseitig kennenlernen, ist doch aufwendiger und intensiver, als ich gedacht hatte“, sagt Böhm.

Und so sieht man ihn, wenn die Temperaturen nicht allzu hoch sind, auf einer seiner wechselnden Trainingsstrecken. „Wenn es warm ist, ist die Belastung für Lotta zu hoch“, stellt der zweifache nationale Meister klar und begegnet damit auch Vorwürfen, die er von manchen Spaziergängern oder anderen Hundehaltern gelegentlich zu hören bekommt. Die Reaktionen reichten von „spannend“ und „total klasse“ bis „was soll das“ und „Tierquälerei“, berichtet Böhm, der aber Letzterem unmissverständlich widerspricht. Es gebe Hunde, die müssten einfach rennen. „Und wenn ein Tier keine Lust darauf hat, dann macht es das auch nicht.“

Dass Lotta ausgerechnet bei den deutschen Meisterschaften im Dezember in Pegnitz nicht vor „ihrem“ Roller herrannte, hatte hingegen nichts mit Unlust zu tun. Vielmehr startete Böhm mit Speed, einem Hund von Jessica Paulsen aus Stühlingen. „Wir hatten ausgemacht, dass ich im Team mit Speed zweimal in der separaten Husky-Wertung an den Start gehe“, sagt er. Mit Erfolg. In der Dog-Scooter-Klasse landete das Gespann auf Rang eins. Und beim nächsten Mal ist dann Lotta wieder mit Ziehen dran.

Noch ein Schattendasein

Sportart: Zusätzlich zu seinen eigenen sportlichen Zielen möchte Andreas Böhm dem Tretrollern auch einen höheren Bekanntheitsgrad verschaffen. Er gehört zum Vorstandsteam des Deutschen Tretroller-Verbands (DTRV) und ist zudem einer von 15 zertifizierten Tretroller-Instruktoren in Deutschland. Diese sollen Interessenten den Einstieg in die Sportart mit fachkundiger Anleitung und Training ermöglichen.

Verbreitung: Während der Tretroller-Sport hierzulande noch ein Schattendasein führt, gibt es in der Nachbarschaft mit Tschechien und den Niederlanden bereits zwei Hochburgen. Mithilfe von Veranstaltungen sucht aber auch der DTRV die Öffentlichkeit. Eigene Rennen zu organisieren scheitert jedoch häufig am organisatorischen Aufwand. „Wir versuchen uns deshalb an Radrennen anzuhängen, weil es da schon die notwendigen Sperrungen und die Einrichtungen für die Zeitnahme gibt“, sagt Böhm.