Zwischen Neckar und Alb
Mit der Energie des Wasserstoffs

Energiekrise Die EnBW will im Kraftwerk Altbach/Deizisau die Produktion bis zum Jahr 2035 umstellen. Für den bevorstehenden Winter sei die Wärmeversorgung aber gesichert, so der Betreiber. Von Simone Weiß

Bei dem Gedanken an den kommenden Winter läuft es vielen Verbrauchern eiskalt den Rücken herunter. Energiekrise, Lieferengpässe, Ukraine-Krieg und Versorgungsprobleme schüren die Angst vor ungeheizten Räumen. Einen Kälteschock aber muss niemand befürchten, beruhigt Wolfgang Sailer, der Betriebsleiter des Heizkraftwerks auf der Gemarkung der Gemeinden Altbach und Deizisau: „Wir sind vorbereitet.“ Trotz aktuell schwieriger politischer Rahmenbedingungen werde in seinem Hause auch der Umweltgedanke nicht vernachlässigt: Bis 2035 soll die Produktion auf Wasserstoff umgestellt werden.

Keine schwarzen Aussichten

Der Landtagsabgeordnete Andreas Schwarz (Grüne) lieferte bei seinem Besuch im Kraftwerk Stoff für manches Wortspiel – und musste manchen Witz mit seinem Nachnamen über sich ergehen lassen. Droht der Blackout, wurde er gefragt. Müssen Kunden schwarzsehen? Sehe die Zukunft schwarz aus? „Bestimmt nicht“, wiegelt Wolfgang Sailer solche Nachfragen ab. Er und sein Team würden sich auf jeden Winter gut vorbereiten – so auch auf den kommenden. Vielleicht sogar ganz besonders: Gas werde in diesem Winter zwar noch benötigt. Es sei aber auch extra Kohle „von überall auf der Welt“ hinzugekauft worden. Der Rohstoff sei auf dem Weltmarkt verfügbar, und damit habe sich das Kraftwerk Altbach/Deizisau eingedeckt. Kohle aus Russ-land sei nicht darunter. In den Speichern würden sich einige wenige Restbestände befinden, die noch verbraucht würden. Dann sei Schluss.

 

Wir werden gigantische Mengen von Wasserstoff benötigen.
Diana van den Bergh
Projektleiterin
 

Frostbeulen, Zähneklappern und eiskalte Finger müssen Verbraucherinnen und Verbraucher laut Wolfgang Sailer nicht befürchten. Etwa 25 000 Kunden und 1700 große Firmen beliefere das Heizkraftwerk mit Fernwärme. Außerdem werde in den Anlagen Strom erzeugt. Sollte aber Not am Mann oder der Frau sein, könnte der Strom zurückgefahren und die Fernwärmemenge gesteigert werden. Grund zur Panik bestehe also nicht.

Im Werk sind nach Angaben des Betriebsleiters beide Kohlekraftwerke in Betrieb. An einer der zwei Anlagen sei eine längere Inspektion, Überprüfung und Kontrolle vorgenommen worden, doch diese sei nun abgeschlossen. Drei der insgesamt vier Gasturbinen könnten auch mit Öl betrieben werden. Trotz dieser beruhigenden Nachrichten sollte jeder Verbraucher Energie sparen, sagt Andreas Schwarz. Heizungen sollten auf den Prüfstand gestellt und bei Bedarf gewartet werden. Es müsse auch überlegt werden, ob jedes Zimmer einer Wohnung geheizt werden müsse. Frank Buß, der Bürgermeister von Plochingen, meinte, der Markt werde alles regeln. Die Preise würden Bürger automatisch zum Energiesparen anhalten.

Mit großen Ausgaben rechnet auch das Kraftwerk in Altbach/Deizisau. Ein hoher Kostenfaktor ist der doppelte Brennstoffwechsel, der „Fuel Switch“. Bis 2026 soll die Energieproduktion laut der Projektleiterin Diana van den Bergh auf Gas umgestellt werden, bis 2027 soll die Erzeugung kohlefrei ablaufen. Die Umstellung auf Wasserstoff soll bis 2035 abgeschlossen sein. Für diese ehrgeizigen Ziele, so die Wirtschaftsingenieurin, sind Neubauten notwendig. Im Mai 2023 beginnen die Bauarbeiten. Vorgesehen sind laut der Fachfrau der Bau eines Heizkessels sowie einer emissionsarmen Gas- und Dampfturbinenanlage, die über eine elektrische Leistung von bis zu 750 Megawatt und eine Wärmeleistung von rund 170 Megawatt verfügen werde.

Die Baumaßnahmen würden mit etwa 500 Millionen Euro zu Buche schlagen. Ein Umbau ist an allen Kohlekraftwerken der EnBW in Altbach/Deizisau, Stuttgart-Münster und Heilbronn geplant. Die Vorteile: Der CO2-Ausstoß werde deutlich reduziert, es würden keine anderen schädlichen Stoffe wie Stickoxide oder Schwermetalle mehr in die Luft geblasen, und auch die Schall-emissionen würden reduziert.

Der Wasserstoff, so die Expertin, werde nach der Umstellung per Leitung an den Standort geliefert: „Um ehrlich zu sein, wir werden hier gigantische Mengen brauchen.“ Eine Versorgung per Schiff oder Schiene sei daher unmöglich: „Bei diesen Transportwegen wären die Sicherheitsbedenken zu groß, denn ganz ohne Risiko ist der Wasserstoff auch nicht.“ Mit Blick auf die hohen Kosten für Wasserstoff verweist Diana van den Bergh auf den Markt. Wenn die Verfügbarkeit und das Angebot steigen, könnten sich auch mehr Verbraucher für diese Energieform entscheiden. Bei einer höheren Anzahl an Kunden sinke der Preis.

Fraglicher Denkmalschutz

Viel Energie steckt das Heizkraftwerk somit in einen Energiewandel. Durch den „Fuel Switch“ frei werdende Flächen und Anlagen können aber nach Angaben von Diana van der Bergh nicht für andere Zwecke genutzt werden, da Teile des Standorts wie etwa eines der beiden Heizkraftwerke sowie die gesamten Kohlelagerflächen unter Denkmalschutz stünden.

Andreas Schwarz zeigte sich nach eigenen Angaben „irritiert“ über diese Mitteilung. Er werde das Thema nochmals auf die Agenda bringen, kündigte der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Landtag kämpferisch an. Der Denkmalschutz müsse zurücktreten, wenn es um für die Energieerzeugung benötigte Flächen gehe.

 

Das Kraftwerk Altbach/Deizisau

Mit dem Bau des Heizkraftwerks Altbach/Deizisau wurde laut dem Betriebsleiter Wolfgang Sailer im Jahr 1994 begonnen. Zuerst sei der Schornstein errichtet worden. Nach etwa drei Jahren Bauzeit habe die Anlage im Jahr 1997 den Betrieb aufnehmen können.

Das Kraftwerk liefert Strom und Fernwärme. Ein Großteil der Industriebetriebe in Esslingen und Stuttgart, viele Privathaushalte in Esslingen, Altbach, Deizisau, Plochingen und Stuttgart sowie öffentliche Gebäude werden laut der EnBW mit Fernwärme versorgt.

Im Rahmen von Führungen kann das Heizkraftwerk Altbach/Deizisau kann besichtigt werden. Einzelbesuche, aber auch Gruppen wie Schulklassen oder Vereine können sich dafür unter www.enbw.com/besichtigungen anmelden. sw