Von Kirchheim direkt mit der Eisenbahn nach Ulm fahren? Was heute wie ein frommer Wunsch erscheint, stand vor über 100 Jahren kurz vor der Verwirklichung. Alle Pläne einschließlich exaktem Höhenprofil der „Lenningerthalbahn“ lagen auf dem Tisch, ebenso die Kostenberechnung. Die ersten Überlegungen zu Papier gebracht wurden 1907 und Ende 1913 der Plan auf Beschluss des Volkswirtschaftlichen Ausschusses der Zweiten Kammer in Stuttgart „zur wohlwollenden Erwägung übergeben“, wie im Teckboten zu lesen war. Staatsoberhaupt damals: Wilhelm II., König von Württemberg. Die Steilstrecke der Filstalbahn von Geislingen auf die Alb nach Ulm war zu dieser Zeit schon lange in Betrieb, sie wurde 1850 eröffnet.
Ich habe von diesen Plänen irgendwann gehört.
Otto Kuhn
„Wäre nicht der Erste Weltkrieg dazwischengekommen, wäre gebaut worden“, sagt Andreas Götz. Mit Otto Kuhn steht er im obersten Stock der Schlössleschule in Dettingen. Vor ihnen liegen große Infotafeln auf dem Boden, die Vorbereitungen für die Ausstellung zu 125 Jahre Teckbahn sind in vollem Gange. Der Geschichtsverein Dettingen zeigt dort historische Fotos und Dokumente zur Geschichte der Bahn – vom Kirchheimer Kopfbahnhof mit Drehscheibe bis zum „Albtraum“, der geplanten Direktverbindung nach Ulm. Zu verdanken ist das alles Otto Kuhn. „Ich habe von diesen Plänen irgendwann mal gehört und hatte das im Hinterkopf“, erzählt er. Otto Kuhn war es auch, der rechtzeitig an das Eisenbahnjubiläum gedacht hat und Mitstreiter für die Sache begeistern konnte.

So fährt am Sonntag, 15. September, nicht nur eine Dampflok durchs Lenninger Tal, sondern es gibt zahlreiche Aktionen rund ums Jubiläum. Vor allem in Dettingen dreht sich alles um die Eisenbahn. In der Schlössleschule wird auf einer großen H0-Modellanlage mit historischen Zuggarnituren detailgetreu der Fahrbetrieb auf der Strecke nachgestellt. „Wir haben uns auf eine bestimmte Epoche geeinigt, es sind grob die 1960er Jahre“, sagt Gerd Bierbaum. Gemeinsam mit Gunter Kurz klebt er an diesem Nachmittag das Gras auf die Platte.Während die beiden noch kräftig an ihrer Anlage arbeiten, sind im anderen Raum die Früchte der geleisteten Arbeit zu sehen. Verschiedene Themenplakate sind fertig, beispielsweise die historischen Ansichten samt Infos zu den Bahnhöfen in Kirchheim.
Noch mehr Verwunderung dürfte jedoch die große, grafisch gut aufgearbeitete Karte aus den Jahren 1907/1908 sein. Sie zeigt ein Stück von Württemberg mit Augenmerk auf eine rot-weiß, munter dahinschlängelnde Linie quer durchs Land. Von Kirchheim bis Oberlenningen ist sie noch gelb eingezeichnet und verläuft ohne große Schlenker in einem Bogen. Dabei handelt es sich um die bereits bestehende Bahnstrecke. Die endet bekanntlich immer noch am Oberlenninger Bahnhof. Doch von dort aus führt nun die magische, rot-weiße Bahn bis nach Ulm. Böhringen, Feldstetten und Tomerdingen sind mit groß hervorgehoben, darüber hinaus finden sich die Ortsnamen Gutenberg, Schlattstall, Strohweiler, Suppingen, Berghülen, Treffensbuch, Dornstadt, Mähringen und Ehrenstein. Genau an diesen Orten vorbei wäre die Dampflok über die Alb nach Ulm getuckert.
Ausufernde Mäander
„Der Albaufstieg bei Schlattstall sollte möglichst wenig Steigung haben, weil die Dampflokomotiven nicht so viel Leistung hatten – deshalb die ausufernden Mäander. Die Planung war der Geografie geschuldet. Gutenberg sollte eventuell einen Bahnhof bekommen“, erzählt Otto Kuhn. Andreas Götz ist ebenfalls begeistert von der Planung, die auch die Höhenlinien einschloss: „Das war eine richtige Wissenschaft. Es war klar, wo es Schwierigkeiten gibt, wo der Felsuntergrund schwierig war, etwa aus Geröll bestand, oder wo Brücken gebaut werden sollten.“
Bis 1925 gab es Verhandlungen
Die „Lenningerthalbahn“ sollte „alsbald durchgeführt“ werden, nachdem der Plan der Zweiten Kammer 1913 übergeben worden war. Doch der Erste Weltkrieg machte alle Hoffnungen zunichte. Nach dem Krieg gaben die Initiatoren jedoch noch nicht auf. Bis 1925 setzten sich die Verhandlungen fort. „Wegen der an die Siegermächte zu leistenden Reparationen und des unaufhaltsamen Währungszerfalls war die Durchführung des Vorhabens unmöglich geworden“, hieß es im Teckboten. Zudem gab es eine Konkurrenz: eine Bahnbuslinie wurde errichtet.
„Es gab einen Briefwechsel zwischen den Schultheißen aus Kirchheim und Feldstetten“, sagt Andreas Götz. Am 10. März 1925 schrieb der Kirchheimer Stadtschultheiß Andreas Marx, der dieses Amt von 1909 bis 1943 inne hatte und Ehrenbürger der Stadt Kirchheim ist: „Es ist zur Zeit völlig aussichtslos, in der Bahnangelegenheit Schritte zu unternehmen. Die Reichsbahn braucht Geld, ohne davon etwas für die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse übrig zu haben. Auch sonst, wenn es sich um die Befriedigung dringender Verkehrswünsche handelt, scheint die Reichsbahn auf dem Stadtpunkt zu stehen, dass das Volk ihretwegen da ist und nicht sie des Volkes wegen. Wenn auch für das Projekt nach Ulm nichts zu erhoffen ist, so darf man dasselbe nicht einrosten lassen. Manches wäre schon mit einer Verlängerung der Bahn bis Gutenberg getan. Im übrigen werde ich das Projekt nicht aus dem Auge verlieren und mit dem zu gegebener Zeit wieder hervortreten.“ Es blieb jedoch beim frommen Wunsch. Mehr als diese Zeilen finden sich nicht mehr in den Akten.
Ausstellung lockt mit Modellbahn
Viele Informationen rund um die Teckbahn - wie sie seit 125 Jahren besteht - gibt es in der Schlössleschule in Dettingen. Nicht nur ihre Geschichte ist grafisch aufgearbeitet dargestellt, auch alte Ansichten lassen einen in Nostalgie schwelgen und in vergangene Zeiten eintauchen. Zu sehen sind nicht nur die Bahnhofsgebäude, sondern auch, was es mit den württembergischen Einheitsbahnhöfen auf sich hat - und dass Kirchheim eigentlich drei historische Bahnhöfe an zwei Standorten hat.
Eine Modellbahn füllt ein ganzes Klassenzimmer. Sie zeigt originalgetreu die Strecke zwischen Kirchheim und Oberlenningen. Die 1960-er Jahre sind dargestellt, es gibt aber auch Loks und Waggons aus anderen Epochen zu bewundern.
Mehr über den „Albtraum“ auf Schienen, der fast verwirklichten Eisenbahnstrecke von Oberlenningen nach Ulm, ist ebenfalls zu finden.
Zu sehen ist die Ausstellung am Sonntag, 15. September, von 10 bis 18 Uhr. Wer dem Gedränge aus dem Weg gehen möchte, hat an den drei darauffolgenden Sonntagen die Möglichkeit, die Schlössleschule von 13 bis 17 Uhr zu besuchen. ih