Die Sache mit dem Tanzen war die Idee einer Freundin. „Ich bin da so ein bisschen reingestolpert“, offenbart Johannes Blattner und berichtet, dass er mit etwa 15 Jahren die Göppinger Tanzschule Schwehr besuchte. Dabei stand der Tanzkurs gar nicht mal im Vordergrund. Der in Bad Boll aufgewachsene kreative Geist verrät: „Eigentlich war es am Anfang eher der soziale Aspekt, um Freunde zu gewinnen. Doch im Laufe der Kurse wurde das Tanzen immer wichtiger mich.“
Nachdem er einige Stilrichtungen durchhatte, wäre die Alternative der Turniertanz gewesen, doch dieses Format sagte ihm nicht zu. Gut gefallen habe ihm das Jugendprojekt „Dirty Dancing“, Johannes Blattner erinnert sich: „Da habe ich den Johnny gespielt, also Patrick Swayze. Es war das erste Mal, das ich alleine getanzt habe.“ Danach folgten Jazzdance und schließlich seine erste Ballettstunde: „Da war ich schon 19 und das ist echt superspät für jemanden, der damit anfängt.“ Irgendwann stellte sich die Frage, was er beruflich machen möchte: Tanzen! Das machen, was ihm am meisten Spaß macht.
„Natürlich gab es auch die Unsicherheit, ob man damit genug Geld verdienen kann“, sagt Johannes Blattner, der nach dem Abitur ein Jahr lang vormittags in einem Göppinger Bistro arbeitete und abends nach Stuttgart in die New York City Dance School (NCY) seiner Berufung folgte. Da habe er gemerkt, dass ihm morgens sieben, acht Stunden zu arbeiten und abends fünf, sechs Stunden zu tanzen, überhaupt nichts ausmachen würde, dennoch wollte er so nicht weitermachen.
„Beim Vortanzen war ich supernervös, unreif und technisch noch nicht so weit, aber die haben irgendwas in mir gesehen“, erinnert sich Johannes Blattner. Anschließend absolvierte er eine dreijährige staatlich anerkannte Ausbildung als Diplom-Tanzpädagoge und Bühnentänzer an der „freiburger akademie für tanz“ und zog für eine Weiterbildung einige Monate nach New York. Später arbeitete er als Bühnentänzer für das Theater in Bonn und Magdeburg sowie an der Philharmonie Luxemburg und der Deutschen Oper am Rhein und zuletzt vier Jahre als Solist am Ballett-Theater in Pforzheim, wo er 2019 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde. 2020 und 2021 erhielt er das „Künstlerstipendium 10qm“ der Stadt Stuttgart. Neben seiner Arbeit als freier Tänzer und Tanzpädagoge lebt Johannes Blattner seine Leidenschaft seit einigen Jahren als Choreograf aus und betont: „In meiner Arbeit suche ich nach Menschlichkeit.“
Sein aktuelles Stück heißt „zerbrich mein nicht“. Das Wort Zerbrechlichkeit löst bei dem 34-jährigen Choreografen ein ambivalentes Gefühl aus. „Wir alle haben etwas Kostbares in unserem Leben, das für uns sehr wertvoll ist und nicht zerbrechen soll. Neben Gegenständen, einer Beziehung oder Einstellung können gleichzeitig wir selbst aber auch an Situationen oder Erwartungen zerbrechen“, findet Johannes Blattner. So sei es manchmal notwendig, sich zu fragen, ob es nicht besser ist, diese Dinge, an denen man droht kaputtzugehen, selbst zu zerbrechen, schildert er und nennt als Beispiel: „Unsinnige Normen, die unserem eigenen Wesen nicht gerecht werden.“
Dann bringt er die uralte japanische Kultur-Technik „Kintsugi“ ins Spiel – was so viel wie „reparieren mit Gold“ bedeutet. Zerbrochenes Porzellan oder Keramik wird dabei mit einer Mischung aus Klebstoff und Blattgold wieder zusammengeklebt, der goldene Schimmer wertet das reparierte Stück auf, der Bruch wird vom Makel zum individuellen Merkmal. „Ich finde, das ist ein schöner poetischer Umgang mit Zerbrochenen, den man auch auf das menschliche Miteinander übertragen kann“, sagt Johannes Blattner.