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Mit Kunst das Trauma verarbeiten

Ehrenamt Kerstin Starkert bietet in ihrem Atelier in Dettingen das Projekt „Resonanz – Menschen mit dem Herzen sehen“ für Flüchtlinge an. In dem Kurs verarbeiten die Teilnehmer ihre teils dramatischen Erlebnisse. Von Iris Häfner

Kunst kann viel: Menschen begeistern oder irritieren, miteinander in Dialog bringen, Stimmungen erzeugen - oder dabei helfen, besser mit traumatischen Erlebnisse umgehen zu können. Diese Erfahrung hat Kerstin Starkert bei ihrer Arbeit mit Flüchtlingen gemacht.

Das Atelier der Kirchheimer Künstlerin ist in der Kirchheimer Straße in Dettingen zu finden. Hier stehen mehrere Tische von Stühlen umkränzt in einem hellen Raum, es riecht nach Holz und Farbe. Die Kunsttherapeutin bietet dort Kurse an, bei denen die 16-jährige Schülerin schon mal neben der kunstbegeisterten Seniorin malt oder töpfert und der Manager seine kreative Seite auslebt. Kerstin Starkert engagiert sich gern im Ehrenamt. „Kunst tut den Menschen gut“, ist sie überzeugt. „Spuren der Demenz“, hieß ein Projekt, das sie in Göppingen realisierte. „Irgendwann war mir klar, dass ich mit geflüchteten Menschen arbeiten will“, erzählt Kerstin Starkert. Mit Mitarbeitern des Mehrgenerationenhauses Linde war sie „auf Achse“ und sprach gezielt Migranten an, ob sie nicht Lust auf einen Kunst-Kurs hätten. Gleich mehrere ließen sich auf dieses Experiment ein, und so entstand das Projekt „Resonanz - Menschen mit dem Herzen sehen“. Seit Sommer treffen sich die Teilnehmer in der Regel einmal in der Woche, in der Linde soll in wenigen Wochen eine Ausstellung mit ihren Werken als Abschluss stattfinden.

Der kleine Bruder ist mit dabei

Einer der Männer bringt immer wieder seinen kleinen Bruder mit, auch seinen Vater konnte er schon überreden, mit in den Kurs zu kommen. „Ich lass den Menschen Zeit, sich mit der Kunst auseinanderzusetzen“, sagt Kerstin Starket. Das fängt ganz niederschwellig am gut gefüllten Bücherregal mit unzähligen Kunstbänden an. Hier können sie so lange stöbern, bis ihnen etwas ins Auge fällt. Einer der Flüchtlinge hat über viele Kursstunden einfach nur seine Mitstreiter beobachtet und in den Büchern geblättert, sich mit dem Thema Chaos beschäftigt - und eines Tages eine Kunstform gefunden, die ihn angesprochen hat. Seitdem nähert er sich malerisch schemenhaften Gesichtern.

„Kinder malen oft Geschichten. Sie verarbeiten so die Reise beziehungsweise Flucht. Die Themen Schiffe und Wasser kommen immer wieder hoch - oder dass jemand ertrinkt, es gewittert. Kinder malen oder töpfern alles, was sie hören oder sehen“, ist die Erfahrung der Kunsttherapeutin. So auch der kleine Bruder, der über mehrere Kurse hinweg Boote in unterschiedlichen Varianten gemalt hat: rote Schlauchboote, aus denen dunkle Köpfe ragen, dann kutterähnliche Schiffe, auf denen er als Kapitän steht - zum Schluss eines mit der deutschen Flagge. „Jetzt malt er keine Boote mehr, sondern Fische. Das ist der Schatz an der Kunst: Sie kann auch lustig, positiv sein. Der Sechsjährige freut sich über lustige Fische“, erzählt Kerstin Starkert. Sie will die Kinder ernst nehmen, die in ihrem kurzen Leben schon Schlimmes erlebt haben. So wird Essen oder Besteck getöpfert. „Man braucht Nahrung, das ist wichtig“, sagt die Kunsttherapeutin, die am Schicksal ihrer Schützlinge teilhat.

„Fast der ganze Familienstamm ist ermordet worden. Hier im Kurs genießt er es plötzlich, einen Stein zu bearbeiten“, sagt Kerstin Starkert über einen Syrer. Entstanden ist ein wunderschönes Kunstwerk: Auf der einen Seite zeigt es einen Gorilla, auf der anderen einen üppigen Baum. „Die Jungs verstehen sich untereinander und können sich gegenseitig tragen“, freut sie sich über diese Entwicklung. Einer von ihnen war während des Unterrichts in seinem Heimatland auf der Toilette. Als er rauskam, waren alle Schüler tot, weil die Grundschule bombardiert wurde. Ein Teilnehmer hat Literatur studiert und die Kalligrafie für sich entdeckt, da er sich mit verschiedenen arabischen beziehungsweise türkischen Autoren beschäftigt. Das erforderte längere Recherchearbeiten. Texte aus der Heimat wurden gefunden und in authentische Schriftzüge gefasst.

„Mich bereichert diese Arbeit unheimlich. Sie bringt mich zum Nachdenken und zu neuen Wegen. Sie zeigt mir, was es für ein Schatz ist, in Deutschland zu leben - und wie viele Luxusprobleme es gibt“, zieht Kerstin Starkert für sich Bilanz. Sie selbst dokumentierte ihre Eindrücke aus der Arbeit schriftlich und künstlerisch in Radierungen als eigene Resonanz zu den Arbeiten der Teilnehmer.

 

Info Der Kurs ist jetzt zu Ende, doch Kerstin Starkert will dank der durchweg positiven Erfahrung ein neues Projekt startet. Dann möglicherweise als eine Art künstlerischer Frauentreff, bei dem die Kinder dabei sein können - viele haben schon ihr Interesse bekundet. Das Projekt „Resonanz“ gehört zu den geförderten Projekten der „Partnerschaft für Demokratie Kirchheim“ im Jahr 2018 und wurde aus den Mitteln des Bundesprogramms „Demokratie Leben!“ finanziert.