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Mit neuem Eigentümerweiter auf Wachstumskurs

Interview Ceramtec-CEO Hadi Saleh sieht die Firma als Hidden Champion und weiß, dass unter anderem die Demografie langfristig Nachfrage garantiert. Von Marion Brucker

Der Plochinger Industrie- und Medizintechnikkeramik-Hersteller Ceramtec hat im April seinen jüngsten Eigentümerwechsel vollzogen. Die Private-Equity-Gesellschaft BC Partners, die bereits seit 2018 im Betrieb engagiert war, hält 50 Prozent der Geschäftsanteile. Die anderen 50 Prozent hält der Canadian Pension Plan Investment Board „CPP Investments“.

Welche neuen Ziele gehen mit dem Eigentümerwechsel einher?

Hadi Saleh: Die Ziele sind unverändert, nachhaltig in unseren beiden Bereichen Medizintechnik und Industrietechnik zu wachsen. Die Nachfrage ist groß. Wir sind vor fast 120 Jahren als Industriekeramiker gestartet. Mit der Medizintechnik erst vor cirka 40 Jahren. Sie wächst erfreulich und die Nachfrage ist groß. Da hilft die Demografie. 70 ist das neue 50. Die Menschen arbeiten länger und sind auch in höherem Alter noch aktiv. Mit 75 Plus wandern sie noch viel, gehen spazieren, spielen Golf oder Tennis in der Seniorenmannschaft. Das Aktivitätslevel Bewegung befeuert letztlich unser Geschäft. Und dann gibt es auch noch das Übergewicht, das zu einer Belastung der Gelenke führt, die bei Arthrose ersetzt werden müssen.

Das bedeutet, die Medizintechnik wird bald die Industrietechnik überholen?

Saleh: Wenn wir umsatzseitig die Medizintechnik der letzten Jahre anschauen, war sie immer deutlich unter der Industrietechnik. Das ist historisch bedingt. Die Medizintechnik wird aufgrund des stärkeren Wachstums die Industrietechnik zukünftig bestimmt überholen. Im letzten Jahr waren es etwas über 309 Millionen Euro Umsatz weltweit, bei der Industrietechnik 333 Millionen Euro. Wir sehen uns eher als diversifiziertes Medizintechnikunternehmen, weil wir da große Wachstumschancen sehen, was die Erweiterung in andere Gelenke angeht. Da Kobalt-Chrom von der Europäischen Union auf die Liste der toxischen und karzinogenen Stoffe gesetzt wurde, glauben wir, dass es zu steigender Nachfrage von Keramikkomponenten kommt. Auch beim Kniegelenk. Es gibt seit rund zehn Jahren zwei keramische Kniesysteme in der Europäischen Union. Das ist bislang eine Nischenanwendung, weil mit limitierten Größen gearbeitet wird. Ein modernes Kniesystem braucht etwa neun verschiedene Größen in verschiedenen Kombinationen, um es an die Anatomie des Menschen anzupassen. Wir entwickeln gerade eines und schließen die Designphase demnächst ab. Wenn alles gut geht, machen wir dieses Jahr präklinische Tests, prüfen das Abriebverhalten und machen verschiedene Verschleißtests. Ich bin sehr zuversichtlich, Ende nächsten oder übernächsten Jahres mit der Klinischen Studie anfangen zu können. Beim Hüftgelenk machen wir viele neue Applikationen. Zum Beispiel Oberflächenersatz für ein Hüftgelenk, wo nicht der Schenkelhals mit dem Oberschenkelkopf entfernt wird, sondern nur die Oberfläche des Gelenks ersetzt wird. Der war in der Vergangenheit aus Metall und bei ungünstigen Umständen beim Einbau kam es zum Abrieb von Metallpartikeln. Da gab es vor sieben, acht Jahren einen Skandal. Wir glauben an diese Technik, aber mit Keramik. Das funktioniert hervorragend. Mit diesem System kann mehr Knochensubstanz erhalten werden.

Wann kommt es auf den Markt?

Die Klinische Studie am Menschen wird in England und anderen Ländern durchgeführt. Die Kunden sind auch in England. Es liegt in der Hand unserer Kunden, wann sie die Zulassung einreichen. Das ist ein normales Zulassungsverfahren für Medizinprodukte. Für die Klinische Studie wird der Patient operiert und dann eine gewisse Zeit beobachtet. Das sind in der Regel ein bis zwei Jahre.

Welche Auswirkungen haben Corona und der Ukrainekrieg auf ihr Geschäft?

Von Lieferproblemen durch Corona und den Ukrainekrieg sind wir weitestgehend verschont geblieben. Wir haben keine Rohstoffe aus der Ukraine, Weißrussland oder Russland. Was uns besorgt, sind die Energiepreise, die Diskussion ums Gas. Wir sind ein energieintensives Unternehmen mit Hochleistungsöfen, die beispielweise bei 1500 Gradteilweise über 55 Stunden laufen. Wir sind mit den Energieunternehmen an den jeweiligen Regionen unserer Standorte in Gesprächen und machen uns Gedanken, wenn es zur Rationierung käme, wie wir weiterhin Zugang zu Gas bekommen. Das schlimmste Szenario wäre, überhaupt kein Gas mehr zu bekommen. Dann könnten wir unsere Öfen nicht mehr betreiben. Wir haben unseren Bedarf an die Bundesnetzagentur kommuniziert, die Unternehmen darum gebeten hat, ihre Daten zu liefern.

Haben Sie was die Kostenseite anbelangt langfristige Lieferverträge für die Energieversorgung abgeschlossen?

Wir haben einen Teil unseres Bedarfes eingekauft, aber uns nicht für die nächsten drei Jahre eingedeckt. Im Januar war der Ukrainekrieg nicht vorhersehbar. Die Preise gingen schon Mitte letzten Jahres nach oben und keiner konnte ahnen, dass es noch weiter hoch geht. Wir dachten, wir könnten abwarten und die Preise gingen wieder nach unten. Das ist nun eine Belastung. Prozentual macht die Energie zwischen vier und sechs Prozent an den Kosten aus.

Werden Sie die Energiekosten weitergeben?

Wir können die Energiekosten nicht einfach weitergeben. Wir haben zum Teil langfristige Verträge, die uns dies nicht automatisch ermöglichen. Wo wir es dennoch können, versuchen wir Preiserhöhungen zu verhandeln.

Inwieweit planen Sie ihre Standorte insbesondere in der Region zu verändern?

Die Standorte Plochingen und Ebersbach sind für uns nach wie vor sehr wichtig. Besonders wegen der Leidenschaft der Mitarbeiter für das Material und das Unternehmen. Wir haben eine sehr geringe Fluktuation mit unter zwei Prozent und Betriebszugehörigkeiten von 30 bis 40 Jahren. Es gibt ausreichend Mitbewerber im Umfeld. Dennoch halten die Mitarbeiter uns die Treue. Als Arzt ist mir die Gesundheitsvorsorge ein persönliches Anliegen. Wir machen viel. Für über 50-Jährige kostenlose Tests für die Darmkrebsvorsorge. Außerdem gibt es viele Gesundheitstage, subventionierte Fitnessclubmitgliedschaften, Jobradangebot und wir unterstützen die Brustkrebsvorsorge und das Deutsche Krebsforschungszentrum. Das Wohl der Mitarbeiter ist uns sehr wichtig. Wir hoffen neue Mitarbeiter an uns binden zu können und kaufen neue Maschinen, die lange Lieferzeiten haben und von daher ist es der limitierende Faktor, weil die Maschinenbauer nicht hinterherkommen. Unser Auftragsbestand ist hoch im Augenblick. Im Bereich des Automobils wird es schwieriger, unter anderem durch den Halbleitermangel. Die Zulieferindustrie verlangsamt sich.

CeramTec auf einen Blick

Produkte: Die CeramTec hat sich auf Hochleistungs-Keramikprodukte für die Medizin- und Industrietechnik spezialisiert. Im Bereich Hüftgelenksprothesen gilt sie als Marktführer, durch die Übernahme des Schweizer Unternehmens Dentalpoint vor einem Jahr hat sie auch auf dem Markt der keramischen Zahnimplantate ihre Position weiter gestärkt. Wachstumschancen sieht CEO Hadi Saleh bei der Industrietechnik in Produkten für die E-Mobilität und in der Sensortechnik. Auch das autonome Fahren bietet Chancen. „Ich bin sehr gespannt, was die Zukunft noch bringt“, sagt Saleh. Das Unternehmen ist ein Zulieferer, der Produkte nicht selbst an den Markt bringt.

Mitarbeitende: Weltweit beschäftigt CeramTec rund 3500 Mitarbeitende, darunter gut 2000 in der Produktion an 19 Standorten. Unternehmenshauptsitz ist Plochingen. Dort sind derzeit fast 650 Menschen beschäftigt, in Ebersbach rund 150. Davon sind rund 40 Prozent im gewerblichen Bereich tätig. Geleitet wird das 1903 gegründete Unternehmen seit 2018 vom Orthopäden Hadi Saleh. als Vorsitzender der Geschäftsführung. Der mittlerweile 49-Jährige ist seit 2015 im Unternehmen und war zunächst als Chief Operating Officer (COO) in der Geschäftsführung für die Medizintechnik zuständig. Weiter in der Geschäftsführung sind Eric Oellerer, seit 2018 Chief Financial Officer (CFO). Zum 1. Januar 2022 hat Horst W. Garbrecht die Geschäftsführung des Bereiches Industrial übernommen.

Zahlen: Das Unternehmen erwirtschaftete 2021 einen Umsatz von 641,7 Millionen Euro nach 552,7 Millionen Euro 2020. 2019 waren es 620,4 Millionen Euro. Das EBITDA das heißt der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen belief sich 2021 auf 242,1 Millionen Euro nach 190,5 Millionen Euro 2020 und 222,7 Millionen Euro 2019. Die Schulden lagen Ende 2021 bei 1.325,6 Millionen Euro. Sie werden über Kreditlinien und Anleihen finanziert unter anderem durch einen neu aufgelegten Bond über 465 Millionen Euro. Dieser hat eine Laufzeit bis 2030.