Als die Saturn-Trägerrakete am 16. Juli 1969 mit donnernden Triebwerken und umgeben von gleißenden Flammen die Crew von „Apollo 11“ ins Weltall katapultierte, war es an Bord des Raumschiffs: das „Mondpapier“ der Papierfabrik Scheufelen. Obwohl er mit seiner Erfindung einen Beitrag zur damals „größten Reise der Menschheit“ leistete, ist Dr. Rudolf Winkler am Boden geblieben. Für den Tüftler bedeutete es harte Arbeit, bis das Papier endlich sämtlichen Anforderungen entsprach. „Damit wäre ich jetzt Millionär, aber ich habe anschließend alles weggeschmissen“, sagt der 94-jährige Oberlenninger mit seinem trockenen Humor und zuckt mit den Schultern.
Tragische Unfälle wie der der ersten „Apollo“-Raumkapsel zeigen, wie fragil die Raumfahrt war. Am 27. Januar 1967 verbrannten drei Astronauten bei Bodentests. Die NASA hatte daraufhin zwölf Papierfabriken in den USA angeschrieben und sie gebeten, schwer entflammbares Papier zu entwickeln. „Die haben alle abgelehnt“, so Rudolf Winkler. Über Kontakte des damaligen Fabrikanten Dr. Klaus Scheufelen zum Stellvertreter Wernher von Brauns, dem deutschen und später amerikanischen Raketeningenieur, landete der Auftrag Mitte 1967 in Lenningen. „Das machen wir“, lautete der Entschluss.
hat der Papst für einen
Faksimiledruck gekauft.
Erste Versuche unternahm Professor Prinzinger. Als Ausgangsmaterial diente dem Entwicklungschef Dekorpapier aus einer Papierfabrik in Frankeneck, einem Zweigwerk von Scheufelen. Es bestand zu 48 Prozent aus nicht brennbaren Pigmenten. Prinzinger tränkte es mit einer Salzlösung, doch die Auftraggeber waren nicht zufrieden. „Das Papier brannte zwar nicht, ließ sich aber nicht bedrucken“, erklärt Rudolf Winkler. Also war seine Aufgabe nach dem Tod des Entwicklungschefs, es durch Streichen bedruckbar zu machen. „Es gab keine Computer. Die Amis hatten Bordbücher, in denen stand, was die Astronauten zu erledigen hatten“, so der gebürtige Franke.
„Wenn man normale Streichfarbe auf das gesalzene Papier geschmiert hat, bildete die Farbe Klumpen“, sagt der Naturwissenschaftler. Die zündende Idee kam ihm durch Zufall: „Jeden Donnerstag sind wir zu einem Kolloquium im chemischen Institut nach Stuttgart gefahren.“ Anschließend gab’s eine zünftige Einkehr bei Ripple und Bier im Owener Adler. Nach einem dieser Abende ging er gegen 10 Uhr noch in die Scheufelen-Bibliothek. Dort stieß er auf den entscheidenden Hinweis: Mit Natriumalginaten – chemisch verbesserte Meeresalgen – ließ sich die Salzschicht abdecken. „Dass sie nicht brannten, obwohl sie organisch waren, überraschte mich“, sagt der promovierte Chemiker. Der angetrocknete Film auf dem Papier hatte zudem die erwünschte Sperrwirkung. Weder klumpte die Streichfarbe, in die er Diofan als Bindemittel gegeben hatte, noch ging sie in Flammen auf. „Das war der Trick. – Wir haben eine Probe geschickt, und die Amis waren zufrieden.“
Im Januar 1968 wurden fünf Tonnen Dekorpapier aus Frankeneck geliefert. Die Anfertigungsnummer 18002 kennt er gut 50 Jahre später noch aus dem Effeff. Auch an lange Telefonate Klaus Scheufelens mit Bundeskanzler Konrad Adenauer und an den Verbindungsmann der NASA, Harold Morris, erinnert er sich noch gut. Ein Lächeln huscht über das Gesicht des hochbetagten Mannes: „Der durfte immer in der Villa übernachten und liebte es, mit einem Mercedes so richtig Gas zu geben.“
Zusammen mit dem Oberlenninger Elektroingenieur Otto Preißler hatte Rudolf Winker einen speziellen Apparat gebaut, der die geforderte Temperatur von 1050 Grad erreichte. Darin spannte er das Papier für seine Versuche ein. Doch mit dem Papier war seine Mission noch nicht beendet. Jetzt wollte Morris noch einen nicht brennbaren Karton. Die Schreinerei Schöpf im Ort hatte eine aufheizbare Furnierpresse. Also klebte Winkler dort je nach Wunsch zwei oder drei Lagen Papier aufeinander. „Die Amis haben ihre Kladden gebunden und sie mit auf den Mond genommen“, sagt er nüchtern. Er selbst aber hatte so genug von dem Projekt, dass er keinen einzigen Schnipsel aufhob.
Große Emotionen empfand der Chemiker nicht, als er wie 500 Millionen Zuschauer weltweit vor dem Fernseher verfolgte, wie Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuß auf dem Erdtrabanten aufsetzte. „Ich war immer im Schatten“, erklärt er. Im Erfolg gesonnt hätten sich andere. Öffentlich in Erscheinung trat Winkler mit seinem Fachwissen lediglich in einem Interview im Südwestfunk und bei einem Vortrag bei der Messe für Druck und Papier in Düsseldorf. „Ich bin der einzige Experte auf der Welt, der weiß, wie das Mondpapier gemacht wird“, sagt der 94-Jährige stolz. Zu seinen persönlichen Höhenflügen gehört, es auf einer USA-Reise in einem Museum der NASA gesehen zu haben.
Seine Spuren hinterließ der Chemiker nicht nur in der Raumfahrt: Als Streichereichef und Leiter des Forschungslabors der Papierfabrik entwickelte er besondere Streichfarben. So beispielsweise „nassfeste“ für die Plakate der olympischen Spiele in München 1972, von denen eins in seinem Flur hängt und das von antiquarischem Wert ist. Auch in Rom landeten seine Erzeugnisse: „Mein schönstes Papier hat der Papst für einen Faksimiledruck gekauft.