Märchen beginnen gerne mit der Floskel „Es war einmal“. Es gibt aber auch moderne Märchen, die auf die Zukunft abzielen. Sie beginnen mit „Eines Tages werde ich“. Erfinder dieser Art von Märchen ist der französische Fotograf Vincent Tremeau. Seine Porträts von Kindern und Jugendlichen aus Afrika und Asien zieren derzeit freistehende Würfel in der Landschaft - als Bestandteil des Kunst- und Aktionspfads.
Begonnen hat das Projekt „One day I will“ vor fünf Jahren, in der Zentralafrikanischen Republik, wie Vincent Tremeau bei einem Besuch auf der Ziegelhütte berichtet: „Damals habe ich eine Reportage gemacht, im Auftrag einer Menschenrechtsorganisation. Wir haben Menschen besucht, die seit einem Jahr eingesperrt waren, in einer kirchlichen Enklave. Wenn sie das Areal verlassen hätten, wären sie sofort getötet worden. Dort herrscht ein religiös motivierter Bürgerkrieg.“ Ein Mädchen erzählte ihm weinend, dass ihre Eltern vor ihren Augen getötet wurden: „Man hat ihnen die Kehlen durchgeschnitten und danach ihre Köpfe abgetrennt und aufgespießt.“
Verkleidung als Sprache
Vincent Tremeau wollte daraufhin nicht weiter der Vergangenheit nachspüren und lieber nach Zukunftsperspektiven fragen: „Also habe ich die Kinder, die seit einem Jahr in keine Schule mehr gehen, gefragt, was sie einmal werden wollen. Ich habe vorgeschlagen, dass sie sich verkleiden, um das darzustellen.“ Die Verkleidung ist für ihn ein universelles Mittel, um sich auszudrücken. Die Sehnsüchte, die mit dem Berufswunsch verbunden sind, erschließen sich den Betrachtern sofort. Außer in Ochsenwang hat Vincent Tremeau seine Bilder auch schon in den USA und in Japan gezeigt: „Wer sie anschaut, braucht keine weitere Sprache, um sie zu verstehen.“
Sein Projekt war nie systematisch angelegt. Es ist vielmehr ein Spiel, das die Kinder gerne mitspielen. Es ist auch für ihn eine Möglichkeit zu kommunizieren. Die Verkleidungen versteht er sofort, obwohl er sonst oft auf Dolmetscher angewiesen ist. Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme hat der Fotograf aber nie: „Wenn ich irgendwo hinkomme, baue ich mein Zelt auf und richte dort mein Studio ein. Da bin ich überall die Attraktion des Tages.“
In Ochsenwang sind seine Bilder auf den Würfeln, die die Schweizer Architektin Saskia Mrazek entworfen hat, in vielerlei Hinsicht attraktiv, also anziehend - selbst für Vandalen. An einem Würfel sind auf drei Bildern die Gesichter zerkratzt. Vincent Tremeau nimmt das locker und erkennt auch noch in der Zerstörung die künstlerische Auseinandersetzung mit seiner Arbeit.
„Wenn man etwas im öffentlichen Raum ausstellt, muss man mit so etwas rechnen. Aber ich sehe darin auch eine Reaktion, eine Interaktion. Das setzt eine andere Art von Kunst frei.“ Er selbst hat auch bereits professionell reagiert und die zerkratzten Bilder abfotografiert: „Daraus kann irgendwann vielleicht ein ganz eigenes Projekt werden.“
Ein weiteres Projekt ist ein Verein, der jetzt in der Schweiz gegründet wurde und der den Jugendlichen, die Vincent Tremeau ablichtet, Bildungschancen vermitteln soll. Zur Bildung gehört für ihn aber mehr als nur Ausbildung und Beruf. Dazu zählt für ihn auch die Kunst und die Heranführung an die Kunst.
Das deckt sich voll und ganz mit der Pädagogik der Ziegelhütte: Auch der Kunst- und Aktionspfad am Randecker Maar hat das Ziel, Bildung mit Kunst zu verknüpfen. Rudolf Mrazek, der regelmäßig gemeinsam mit Jugendlichen Kunstwerke für den Skulpturenpfad beisteuert, kann auch vom entscheidenden Erfolg von Vincent Tremeaus Bildern berichten: „Beim Aufbauen haben unsere Jugendlichen das eigenständig reflektiert. Der eine hat gesagt: ,Schau dir das an, die wollen alle noch was werden‘. Und der andere hat geantwortet: ,Ja - und wenn wir ehrlich sind, dann haben wir alle keinen Bock‘.“ Für Rudolf Mrazek steht fest: „Das ist ein fundamentaler Erkenntnisgewinn. Allein deshalb hat es schon was gebracht.“