Zwischen Neckar und Alb
Mord: „Ich kann nicht fassen, was ich getan habe“

Justiz Im Prozess äußert sich der 55-jährige Angeklagte schriftlich zu den Schüssen in Kemnat auf seine Ehefrau.

Ostfildern. Wie konnte es zu den tödlichen Schüssen am späten Abend des 7. August 2021 in Ostfildern kommen? Am zweiten Prozesstag ließ der Angeklagte von seinem Verteidiger eine schriftliche Erklärung zu den Umständen der Tat vorlesen. Der 55-Jährige muss sich seit Anfang Februar vor dem Landgericht Stuttgart wegen Mordes verantworten. Laut Anklage soll er seiner 34-jährigen Ehefrau zweimal in die Brust geschossen haben.

„Es war eine emotionale Achter­bahnfahrt mit viel Streit, aber auch mit Versöhnungen“, beschreibt der Angeklagte den Zustand ­seiner Ehe. Einmal habe er ihr auch ins Gesicht geschlagen. Zu der Krise habe beigetragen, dass seine Frau eine Affäre mit seinem Neffen gehabt habe, der ihm sehr nahe steht. Das Paar wollte sich scheiden lassen. Am Tattag, an dem sie noch Formalitäten für den Anwalt klären mussten, habe man auch eine räumliche Trennung vereinbart. Im Verlauf des Abends habe seine Frau dann aber nur von Trennung auf Zeit gesprochen. Sie wollte zu ihrer Mutter gehen, er selbst habe einen kleinen Koffer gepackt, um zu einem Freund zu fahren. Er habe darauf bestanden, dass die beiden Kinder bei ihm bleiben.

Die Pistole aus dem Tresor im Schlafzimmer geholt

„Für meine Kinder gebe ich mein Leben, ich vergöttere sie“, ließ der Angeklagte über seinen Anwalt erklären. Auch seine Frau habe gesagt, dass sie für ihre Töchter sterben würde. „Wir werden ja sehen, wer von uns beiden als Ers­tes sterben wird“, soll sie an dem Abend gesagt haben. Er habe daraufhin vorgeschlagen, die Pistole aus dem Tresor im Schlafzimmer zu holen, die dort seit zwei Jahren lagerte. Mit der Waffe in der Hand sei er zurück ins Wohnzimmer gekommen und habe sie sich auf den Oberkörper gehalten. „Lass das“, habe seine Frau gerufen und ihn mit Vornamen angesprochen, was sie sonst selten getan habe. Sie habe ihm stattdessen ihre Brust hingehalten. Dann seien die Schüsse gefallen. Wie von Sinnen sei er in die Garage gerannt, habe sich ins Auto gesetzt und eine Dose Red Bull getrunken, die dort lag. „Ich kann nicht fassen, was ich getan habe, und bereue es zutiefst“, ließ der Angeklagte sich zitieren. Laut Informationen von Polizei und Staatsanwaltschaft rief der Mann später selbst die Einsatzkräfte und ließ sich festnehmen.

Über 40 Minuten lang hatten die Rettungskräfte in der Wohnung in Kemnat versucht, die 34-Jährige zu reanimieren – vergeblich. Erst als er die Frau, die auf dem Sofa im Wohnzimmer zusammengesackt war, umlagern musste, habe er das viele Blut und unter der Kleidung die Einschusslöcher in der Brust entdeckt, sagte ein Sanitäter vor Gericht. Auf seine Nachfrage habe der Ehemann ohne Umschweife eingeräumt, dass er es gewesen sei, der geschossen habe. Die Waffe – eine Beretta-Selbstladepistole – lag auf dem Couchtisch.

Die beiden Töchter des Paares, sechs und mittlerweile neun Jahre alt, waren während der Tat in der Wohnung. Sie haben den Streit und einen lauten Knall gehört, berichtete der Bruder der Getöteten, bei dem die Kinder heute leben. „Ihnen geht es jetzt gut. Sie sprechen kaum noch von ihren Eltern“, sagte der Familienvater am Donnerstag im Zeugenstand. Er ist in dem Prozess auch Nebenkläger. Eine wichtige Bezugsperson für die Mädchen sei seine Mutter gewesen, die inzwischen ebenfalls gestorben ist. In einem beschlagnahmten Brief aus der Haftanstalt, aus dem das Gericht zitierte, hatte der Angeklagte „der Omi“ sein Beileid ausgesprochen und gebeten, dass jemand für ihn Fotos von den Kindern und der Beerdigung seiner Frau macht. Der Angeklagte schwieg während der Verhandlung. Nur einmal ergriff er das Wort. „Es tut mir furchtbar leid. Danke, dass Du für die Kinder da bist“, sagte er schluchzend in Richtung seines Schwagers. Petra Pauli