Murat Kutlu ist der Inbegriff eines schwäbischen Schaffers und Netzwerkers, seine Interessen sind breit gefächert und das Engagement vielfältig. Nun hat der Oberboihinger noch eins draufgepackt und ist beim Arbeitskreis „Mundart in der Schule“ aktiv. Dieser verschreibt sich seit 2003 der Förderung alemannischer, fränkischer und schwäbischer Mundart – Künstler erteilen dabei Schwäbisch-Unterricht.
„Das ist genau mein Thema“, sagt Murat Kutlu. Er schwätzt gern und bewusst ein so breites Schwäbisch wie es so manche Kächeles, Pfleiderers oder andere Ur-Schwaben oftmals gar nicht mehr können oder wollen. Nicht jeder versteht den 53-Jährigen, wenn er loslegt. Er kennt Begriffe, die kaum noch jemand benutzt. „Ich muss für den Dialekt werben“, sagt Kutlu lachend. „Er ist ein wichtiges Kulturgut. Wenn man ihn aufgibt, verschwindet ein Stück Kultur.“ Das sei längst nicht nur ein städtisches Problem, sondern auch auf dem Land werde immer weniger Schwäbisch geschwätzt: Nur drei von 21 Kindern konnten in einer vierten Klasse etwas mit dem Thema Dialekt anfangen, was Kutlu bedaure.
Was ihn das angehe, frage sich sicher so mancher Schwabe und bekommt von ihm auch gleich die Antwort: „Ich bin Schwabe mit türkischen Wurzeln. Mir liegt etwas daran, weil ich in der Sprache spreche und auch träume.“ In Kirchheim wurde er als Türke der zweiten Generation zwar geboren, aber sein Leben verbrachte er in Zizishausen. „Ich bin erst ein einziges Mal umgezogen“, gesteht er – und zwar von „Zizis“ nach Oberboihingen: „Ich habe 40 Jahre in der gleichen Wohnung gelebt. Das zeigt doch meine Heimatverbundenheit.“
Auch sonst ist sein Leben bodenständig-schwäbisch verlaufen: Nach der Schule ging es zur Ausbildung in eine Kfz-Werkstatt: „Uns hätten Stuttgarter nicht verstanden.“ Er fühlt sich wohl im Dialekt, den er in seiner Familie als einziger intensiv pflegt. Seine Frau spricht ihn auch, aber „et ganz so brutal“. Seine 16 und 20 Jahre alten Töchter würden dagegen schwächeln – wie viele in dem Alter: „Ich versuche es immer, ihnen schmackhaft zu machen, aber sie wollen nicht.“ Dabei sei Mundart alles andere als angestaubt.
Murat Kutlu schwäbelt auch als Comedian. Schon immer hat er eine humoristische Ader gehabt, die er während Corona intensiviert hat. Der Versuch, sich auf Hochdeutsch mitzuteilen, sei gescheitert. Ein erfahrener Comedy-Kollege habe gemeint, es klinge wie abgelesen: „Er meinte, dass ich Schwabe sei und deshalb auch Schwäbisch schwätzen soll.“ 2021 kamen erste Auftritte auf Open Stage-Bühnen der Region, er habe sich als schwäbelnder Türke durchkämpfen müssen. Älteres Publikum würde bis heute oft noch skeptisch reagieren, wenn er – optisch Türke durch und durch – loslegt: „Das Eis bricht aber schnell.“ Denn das Publikum merke, dass er keine Rolle einnehme: „Das bin ich aus Überzeugung.“
Murat Kutlu stand als Opener für „Hillus Herzdropfa“ auf der Bühne, ist in der Schwaben-Szene von Dodokay bis McBruddaal integriert – letzterer habe übrigens einen schwedischen Migrationshintergrund. Vergangenen Herbst startete Murat Kutlu mit einem eigenen abendfüllenden Programm, Premiere war im Nürtinger Schlachthof. „Ebbes macha musch“ heißt es und beschreibt sein Naturell: Zur Ruhe kommt er selten, er muss immer was tun. Kaum als Comedian auf den Bühnen des Landes unterwegs, kam er in Kontakt zum Verein „schwäbische mund.art“, wurde Mitglied und lernte so den Arbeitskreis „Mundart in der Schule“ kennen. Flugs gestaltete Kutlu seine erste Doppelstunde Mundart-Unterricht in einer vierten Klasse. Selbstverständlich habe er sich akribisch darauf vorbereitet, denn grundsätzlich tauche er tief ein in geschichtliche Zusammenhänge der Türkei, von Deutschland und den Schwaben. Ohne Theorie keine Vermittlung in der Praxis. „Wir sprechen hier in der Region ein Zentralschwäbisch“, weiß er inzwischen und beschäftigt sich nach wie vor mit der (Sprach-)Geschichte: „Es wurde immer interessanter.“
Zu seinem großen Bedauern habe er erst eine Doppelstunde halten können, das Interesse an dem Programm könne größer sein: „Der Dialekt wird in der Schule aberzogen, viele Lehrer sehen in der Mundart keine Relevanz.“ Murat Kutlu schon, er spricht den Dialekt auch beruflich. Er ist im Schulungsbereich der Automobilbranche in ganz Deutschland unterwegs – das Schwäbische bleibe hörbar, das sei authentischer. Dann schalte er aber ebenso wie als Moderator einen Gang zurück, gibt er zu.
Im Alltag in seiner schwäbischen Heimat legt er dann gern wieder los. Den Balanceakt zwischen der schwäbischen und türkischen Kultur zu finden sei nicht immer leicht gewesen: „Jetzt kümmert es mich nicht mehr, was die Leute denken“, meint der 53-Jährige: „Ich habe meinen Platz gefunden.“