Wer wird am 26. Juli neuer Landrat im Kreis Esslingen? In vom Fußball überlagerten Zeiten wie diesen ließe sich die Frage auch anders stellen: Wer wird Nachfolger des passionierten Fußballfans und ehemaligen Kickers Heinz Eininger, der nach 24 Jahren als Mannschaftsführer im Landratsamt abtritt? Ein Degenfechter mit internationalen Titeln in der Jugend oder ein Tenniscrack mit Oberliga-Erfahrung bei den Jungsenioren? Anders gefasst: Marcel Musolf, Bissingens Rathauschef in zweiter Amtszeit, oder Peter Rosenberger, seit knapp 15 Jahren OB der 25.000-Einwohner-Stadt Horb am Neckar? Nach der Kreistagswahl am 9. Juni und dem Ende der Bewerberfrist zu Beginn dieser Woche ist das Rennen um die Mehrheit der 94 Stimmen im Kreisparlament eröffnet.
Ein Rennen, das eng werden könnte. Der 39-jährige Musolf, der mit den Freien Wählern für die nach wie vor stärkste Fraktion im Kreistag mit 27 Mitgliedern antritt, braucht ebenso Verbündete wie sein 13 Jahre älterer Mitbewerber, der bisher vor allem auf die Stimmen seiner Partei – der CDU – und der Grünen vertraut. Frischer Wind von außen oder „Stallgeruch“ – auch das eine Frage, die bei altgedienten Kräften im Kreistag den Ausschlag geben könnte. Musolf ist dort seit zehn Jahren fest in der Kreispolitik verankert und hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen so manche Schlacht
geschlagen. In grundlegenden Fragen zum Haushalt konnten er und seine Fraktion in der Vergangenheit meist auf eine mehrheitsfähige Allianz mit SPD und FDP bauen. Wie weit dieser Rückhalt trägt, ist die Frage, zumal fast die Hälfte des im Juni neu gewählten Kreisparlaments aus neuen Gesichtern besteht. Die SPD, die bei der Wahl zwar zwei Sitze verloren hat, mit 13 Mandaten aber immer noch als viertstärkste Kraft knapp hinter den Grünen rangiert, könnte auch im neuen Kreistag gemeinsam mit den Liberalen zum Mehrheitsbeschaffer werden. Rosenberger sprach offenbar bereits am Donnerstag hinter verschlossenen Türen bei den Genossen vor. Musolf trifft sich Anfang Juli zu Gesprächen. Direkt im Anschluss wollen die Roten Farbe bekennen. Ziel sei ein klares Votum, betont SPD-Fraktionschef Michael Medla.
Dann ist da noch die AfD, seit der Wahl fünftstärkste Kraft mit zehn Sitzen im Kreistag. Die Rechtsaußen-Fraktion verlangt ein klares Bekenntnis zu zentralen Punkten im Wahlprogramm oder wie es der designierte Fraktionschef Ulrich Deuschle ausdrückt: „Wir unterstützen, wer sich uns gegenüber aufgeschlossen zeigt. Für ein Kaffeekränzchen stehen wir nicht zur Verfügung.“ Die Frage ist nur, wer den Kontakt zur extremen Rechten am Ende sucht? Rosenberger, ebenfalls ein Mann mit langjähriger Erfahrung im Kreistag in Freudenstadt, ist es nach eigenem Bekunden jedenfalls nicht. Der CDU-Mann bekennt sich zur Parteiräson. In anderen Worten: Die „Brandmauer“ steht. „Ich werde definitiv um keine AfD-Stimmen werben“, stellt der 52-Jährige im persönlichen Gespräch klipp und klar fest. In einem Interview mit der Horber Tagespresse – der Neckar-Chronik – zeigt die Brandmauer allerdings feine Risse. Dort wird Rosenberger mit Blick auf die AfD mit dem Satz zitiert, er werde keinen in die Wüste schicken, der auf ihn zugeht, aber klar die Schranken aufzeigen. Und Musolf? Der lässt sich auf diese Frage erst gar nicht ein. Er sei überzeugt, ein Wahlangebot unterbreiten zu können, meint Bissingens Bürgermeister, das über Fraktionsgrenzen hinweg überzeugen könne.
Wirtschaftsförderung, Klimaschutz, soziale Teilhabe, eine faire Finanzpartnerschaft mit den 44 Kommunen im Kreis, die Digitalisierung und letztlich der Kampf ums Personal, um in der Verwaltung künftig überhaupt handlungsfähig zu bleiben – bei den Kernthemen unterscheiden sich die Profile beider Bewerber ebenso wenig wie in ihrer Eignung fürs angestrebte Amt. Beide haben den Verwaltungsjob von der Pike auf erlernt. Marcel Musolf setzt deshalb auf das, was ihn in seiner Gemeinde seit 13 Jahren trägt: Bürgernähe. Zuhören, erklären – „Die Menschen wollen mitgenommen werden“, sagt Musolf. Nur so lasse sich trennen zwischen dem, was wirklich schiefläuft, und dem, was lediglich von einer allgemein schlechten Stimmung überlagert werde. Als Instrument könnte er sich vorstellen, im Landratsamt ein Bürgerreferat einzurichten – als eine Art Beschwerdestelle mit Lotsenfunktion.
Sein Kontrahent dagegen versucht mit einem dichten Netzwerk zu punkten, in dem sich ein Jahrzehnt mehr an kommunalpolitischer Erfahrung spiegelt. Rosenberger ist in zahlreichen Gremien vertreten, vom Klinik-Aufsichtsrat über den Vorstand des Sparkassenverbands bis zum Finanzausschuss im Landes-Städtetag. Sein jüngerer Kontrahent will als einer wahrgenommen werden, der Tatendrang und Aufbruchstimmung verkörpert. Man müsse in ein Amt auch hineinwachsen, betont Musolf. „Alles andere wäre vermessen.“ Einen Vorteil hat er exklusiv: Egal, wie die Wahl ausgeht – Musolf wird mit seiner Familie in Bissingen wohnen bleiben. Für den dreifachen Familienvater aus Horb stünde im Erfolgsfall der Umzug an. Zwar nicht sofort zum Amtsantritt am 1. Oktober, spätestens jedoch im Frühjahr. Das Abitur soll sein Ältester noch in Horb machen dürfen. Das hat der Papa versprochen.
Dritter Bewerber blitzt ab
Es bleibt dabei: Die Entscheidung, wer neuer Landrat im Kreis Esslingen wird, fällt zwischen dem 39-jährigen Bissinger Bürgermeister Marcel Musolf (Freie Wähler) und dem 52-jährigen Horber Oberbürgermeister Peter Rosenberger (CDU). Die beiden Kandidaten sind nach Ablauf der Bewerberfrist am Montag dieser Woche die einzigen, die bei der Wahl am 26. Juli zugelassen sind. Das hat der besondere beschließende Ausschuss zur Vorbereitung der Wahl (bbA), der am Donnerstag tagte, bekannt gegeben.
Kurz vor Fristende war im Esslinger Landratsamt eine dritte Bewerbung auf dem Postweg eingegangen. Ein Name wurde nicht genannt. Der Wahlausschuss, der sich aus Mitgliedern des Kreistags zusammensetzt und gemeinsam mit dem Innenministerium im Land über eine Zulassung zur Wahl entscheidet, kam zu dem Schluss, dass der Kandidat für den Posten des Landrats fachlich nicht geeignet ist. Der Landrat ist nicht nur Kommunalbeamter, sondern auch Chef einer staatlichen Behörde und muss anders als bei Bürgermeisterwahlen eine entsprechende berufliche Qualifikation vorweisen können. In Baden-Württemberg werden Landräte nicht direkt vom Volk, sondern in geheimer Abstimmung vom Kreistag gewählt.
Weil sich das Landratsamt in Esslingen derzeit im Bau befindet, wird der neue Landrat am Freitag, 26. Juli, ab 16 Uhr in der Filharmonie in Filderstadt-Bernhausen gewählt – einen Tag nach der konstituierenden Sitzung des neuen Kreistags an selber Stelle. Wer neuer Landrat werden will, braucht in den ersten beiden Wahlgängen mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen im Kreistag. Überspringt kein Kandidat diese Hürde, genügt in einem dritten Wahlgang die einfache Mehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los.
Die Amtszeit von Heinz Eininger endet am 30. September. Eininger, der in Kirchheim lebt und im Juli 68 Jahre alt wird, ist mit 24 Jahren im Amt dienstältester Landrat in Baden-Württemberg. Zuvor war Heinz Eininger unter dem damaligen Oberbürgermeister Peter Jakob als Bürgermeister acht Jahre lang Erster Beigeordneter der Stadt Kirchheim. Im März vergangenen Jahres hatte der CDU-Politiker verkündet, dass er bei der nächsten Landratswahl nicht mehr antreten wird. bk