Die Vergangenheit hautnah erleben und in die Keltenzeit eintauchen: Das ist im Heidengrabenzentrum, direkt beim Burrenhof auf der Vorderen Alb gelegen, virtuelle Realität. Und nicht nur das: Museum und Landschaft bilden eine Einheit und ergänzen sich gleichzeitig. Im Museum unter der Erde – also im „Burren“ – im landschaftlichen Dreieck von Erkenbrechtsweiler, Grabenstetten und Hülben, gibt es viele Informationen zu dem untergegangen und faszinierenden Volk, das dort vor Tausenden von Jahren gelebt hat. Unter freiem Himmel lassen sich auf der Berghalbinsel bis heute ihre Spuren verfolgen und erwandern. So gaben die immer noch sichtbaren Erdwälle dem Ort Grabenstetten seinen Namen.
Mit Superlativen können die sonst so bescheidenen Schwaben – das Nachfolgevolk der Kelten – aufwarten. Beim Heidengraben handelt es sich mit fast 17 Quadratkilometern um eine der größten spätkeltischen Siedlungen Europas – und das auf der rauhen Alb. Den nochmals mit dicken Mauern und Toren gesicherten Kern bildete die 153 Hektar große Elsachstadt. Weshalb das so war, dieser und vielen weiteren Fragen geht das Heidengraben-Zentrum nach. „Es ist ein riesengroßes Gebiet, den Kern der Siedlung können wir uns stadtähnlich vorstellen“, gibt Tanja Breitenbücher von der Geschäftsstelle des Heidengrabenzentrums schon mal als Antwort.
Stadt bestand kaum 50 Jahre
Doch auf viele Fragen haben die Forscher keine Antworten. „Über 1000 Jahre war das Gräberfeld aktiv, seltsamerweise ist die Riesenstadt spätestens nach 50 Jahren verlassen worden – die Leute waren einfach weg. Das macht es um so mysteriöser, es ist nicht klar, warum dies geschah. Es gibt verschiedene Theorien, eine davon ist die Völkerwanderung“, sagt Tanja Breitenbücher.
Was bekannt ist, wird im Zentrum dargestellt. Die Besucher begrüßt gleich nach der Kasse der Torwächter. Sofern sie es wünschen und den Knopf drücken, erzählt er von seiner Aufgabe und der Bedeutung der keltischen Zangentore. Es ist ein beeindruckendes Bauwerk, das visuell dargestellte Tor. Kriegerschilder, Rinderschädel und Totenköpfe zieren seine Front, um Eindruck auf die Besucher zu machen und die Bedeutung der Siedlung hervorzuheben, wie die Forscher vermuten. Wer durchtritt, findet sich auf dem Markplatz wieder, wo eine Händlerin ihre Waren anbietet. „Ihr dürft ruhig mal den Stab drehen, dann merkt ihr, wie viel Kraft man braucht, um den Mahlstein zu bewegen“, fordert Tanja Breitenbücher zwei Kinder auf, denn anfassen und ausprobieren ist hier ausdrücklich erlaubt. Und tatsächlich, sie schaffen es, den oberen Stein zu bewegen, um Korn zu mahlen. „Die Kelten waren kein primitives Volk. Hier stand einmal eine Metropole“, sagt Tanja Breitenbücher. Auch vor 2000 Jahren lebten die Menschen in keiner heilen Welt. Die Häuser hatten Schlösser mit individuellen, deutlich größeren Schlüsseln als heute, die ein gewisses Maß an Geschicklichkeit erfordern. Die kann jeder erproben, wenn er sich am Mechanismus des Keltenschlosses versucht.
Strichcodes auf Amphoren
„Hier oben war ein Handelsumschlagplatz. Die Wasserscheide von Donau und Rhein ist hier und damit die Wege von Nord nach Süd und West nach Ost“, nennt Tanja Breitenbücher als einen wichtigen Grund für die Keltenansiedlung. Wie weit die Handelswege gingen lässt sich anhand von Amphoren archäologisch nachverfolgen. „Es gab eine Art Strichcode wer was wohin verschiffte und transportierte. Es waren weitreichende und tiefgehende Infos“, zeigt sich Tanja Breitenbücher beeindruckt.
„Die Besucher werden Teil der Begräbnisszene“, beschreibt Tanja Breitenbücher einen weiteren Raum. Eine virtuelle Trauergemeinde schaut auf den rekonstruierten Prunkwagen auf dem ein „Toter“ liegt. Andrea Häussler, Drechslerin aus Grabenstetten, hat sich in das Thema reingefuchst und anhand von drei Grabfunden den Wagen nachgebaut. In dieser Szene wird dargestellt, was sich direkt um das Zentrum vor tausenden von Jahren abgespielt hat. Hier war ein großer Kultplatz, auf dem über lange Zeit viele wichtige Persönlichkeiten begraben wurden.
„Man fühlt sich hier wie im Segelflugzeug“, sagt Tanja Breitenbücher über ihren Lieblingsplatz im Heidengraben-Zentrum. Die Besucher stehen mitten in einem Panoramabild mit Blick ins Lenninger Tal, Bassgeige und die Albhochfläche mit ihren Dörfern. In der Mitte steht eine Art Billardtisch mit Relief, der genau diese Landschaft abbildet. Per Knopfdruck lassen sich verschiedene Themen aufrufen und darstellen. Etwa den Albvulkanismus. Der war ein weiteres, wenn nicht das wichtigste Kriterium für die Ansiedlung der Kelten auf der Albhalbinsel. Der Grund: Auf dem Vulkangestein floss das Wasser nicht ab, denn der Albboden besteht hauptsächlich aus wasserdurchlässigem Kalkgestein.
Am Ende des Rundgangs kann jeder einen Film über den Heidengraben ansehen. „Ministerpräsident Kretschmann hat ihn bei der Eröffnung komplett angeschaut“, erzählt Tanja Breitenbücher nicht ohne Stolz und sagt: „Wir sehen uns nicht als Konkurrenz zur Heuneburg, wir ergänzen uns.“
Viele Spuren der Kelten auf der Berghalbinsel
„Alte“ Infotafeln finden sich entlang des Kelten-Erlebnis-Pfads immer wieder. Sie beleuchten ebenfalls unterschiedliche Aspekte der Kelten. Gleich um die Ecke, am Ortsrand von Erkenbrechtsweiler, befindet sich das rekonstruierte Zangentor G und in Hülben lässt sich eine neu angelegte Hüle bewundern. Von Mai bis September hat das Keltenmuseum in Grabenstetten sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der Spätlaténezeit, in der das keltische Oppidum am Heidengraben errichtet wurde. Fundstücke, Tafeln, Karten und Rekonstruktionszeichen werden dort präsentiert.
Ambitionierte Wanderer können den 27 Kilometer langen Achsnagelweg erkunden. Ihn gibt es schon lange, er führt entlang des Albtraufs vorbei an historischen Siedlungsresten wie Zangentor und Hügelgrab. 19 Infotafeln – einige davon auf dem Kelten-Erlebnis-Pfad – vermitteln Wissen zur keltischen Geschichte. Sein Wegesymbol ist der Achsnagel eines zweirädrigen keltischen Kampfwagens. Das Original wurde der auf dem Gebiet gefunden.
Der rund fünf Kilometer Premiumspazierwanderweg „hochgehsiedelt“ – gleichnamiges Wegesymbol – führt mitten durch die einst große Keltensiedlung zu den Aussichtspunkten „Brille“ und Drachenfelsen.
Die 24 Kilometer lange „Flegga-Ronde“ führt mit dem Symbol des orangenen Kleeblatts zwischen den Highlights auf der Berghalbinsel Vordere Alb zu markanten Aussichtsfelsen, streckenweise entlang des keltischen Oppidums zu verschiedenen Sehenswürdigkeiten. ih