Zwischen Neckar und Alb
Nürtinger Bergsteiger wird nach 32 Jahren tot geborgen

Unglück Seit August 1990 fehlte vom Nürtinger Bergsteiger Thomas Flamm jedes Lebenszeichen. Nun herrscht Gewissheit über sein Schicksal. Von Kai Müller

Wo ist der Nürtinger Thomas Flamm? Das Mitglied der Nürtinger Naturfreunde war zu einer mehrtägigen Wanderung in den Schweizer Alpen aufgebrochen. Am 29. Juli schrieb der 27-Jährige seiner Großmutter noch ganz begeistert, dass er den Montblanc bestiegen und umwandert habe. Am 1. August meldete Flamm sich noch bei seiner Mutter. Danach fehlte jedes Lebenszeichen. Am 4. August 1990 meldete ihn seine Mutter beim Nürtinger Polizeirevier als vermisst.

Nun herrscht traurige Gewissheit. Bereits Ende Juli entdeckten Bergsteiger dessen sterbliche Überreste auf dem Stockjigletscher bei Zermatt. Am Montag hatte die Schweizer Kantonspolizei in Zermatt den Fund öffentlich gemacht. Dass die sterblichen Überreste Flamms nun entdeckt wurden, hängt für die Schweizer Behörden mit dem Rückgang der Gletscher zusammen. Dies bringe immer wieder Alpinisten zum Vorschein, die schon seit Jahrzehnten vermisst werden.

„Es war eindeutig ein Unglücksfall“, erklärt die Reutlinger Polizeisprecherin Andrea Kopp. Dass es sich um den verschwundenen Thomas Flamm handelt, war schnell klar. An der Unglücksstelle fanden die Ermittler dessen Papiere und Ausrüstungsgegenstände. Endgültige Gewissheit brachte eine DNA-Probe. Damit hatten sich auch die Gerüchte erledigt, dass es sich bei dem Leichnam – wie verschiedene Medien berichteten – um den seit 2018 vermissten Milliardär und Ex-Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub handeln könnte. Das zuständige Polizeipräsidium übermittelte die DNA-Probe an die Schweizer Kollegen. „Die Ermittlungen sind für uns abgeschlossen“, sagt Kopp.

Die Suche nach Flamm hatte im Sommer 1990 nicht nur die Menschen in Nürtingen bewegt. Der junge Mann hatte sich während seiner Bergtour immer wieder regelmäßig bei seiner Familie gemeldet. Als die Telefonate ausblieben, wurden schließlich umfangreiche Suchaktionen in die Wege geleitet. Die Nürtinger Zeitung hatte erstmals am 23. August über den Fall berichtet und damals deutlich gemacht, dass Flamm nicht nur über eine hervorragende Ausrüs­tung verfüge, sondern auch ein umsichtiger, gewissenhafter und erfahrener Bergsteiger sei.

Sogar Interpol schaltete sich ein

Da er allein mit einem Zelt unterwegs war, gestaltete sich die Suche aber schwierig. Klar war nur, dass er sich in Domodossola im italienischen Tocetal mit einem Freund aus Reudern verabredet hatte. Doch dort kam er nie an. Sogar Interpol wurde bei der Suche eingeschaltet.

Die Kantonspolizei in Zermatt setzte Ende August 1990 alle Hebel in Bewegung, um den Nürtinger zu finden. „Es wird alles Menschenmögliche getan“, teilte ein Sprecher der Kantonspolizei damals mit. Auch die Freunde des damals 27-Jährigen waren vor Ort und verteilten Flugblätter. Die Schweizer Polizei inspizierte sämtliche Campingplätze, ein Hubschrauber mit Bergführern stieg auf, um diese bei einem Fund in die Gletscherspalten abseilen zu können. Weniger Hoffnung machte aber eine Nürtinger Gruppe des Deutschen Alpenvereins. Diese war ebenfalls im ähnlichen Zeitraum unterwegs und berichtete von „butterweichen Gletschern“.

Neue Hoffnung brachte eine Rechnung vom 4. August in einer Hütte. Dort hatte Thomas Flamm etwas gegessen. Das schränkte das Suchgebiet zwar ein und man war sich sicher, dass der junge Mann über den Stockjigletscher in Richtung Zermatt unterwegs gewesen war. Ende des Jahres 1990 zog die Kantonspolizei Bilanz und legte dar, was sie unternommen hatte, um Flamm zu finden. Das Resümee war ernüchternd: „Alle Anstrengungen führten zu keinem Ergebnis. Thomas Flamm ist weiterhin spurlos verschwunden.“

Nun, nach 32 Jahren, ist das Schicksal von Thomas Flamm geklärt. Dort, wo auch die Ermittler die Unglücksstelle vermuteten, wurden nun die sterblichen Überreste entdeckt. Vielleicht ist es immerhin ein kleiner Trost für die Angehörigen und Freunde, dass er sich zuvor mit der Besteigung des Montblanc noch einen Traum erfüllen konnte und in seinen geliebten Bergen die letzte Ruhestätte gefunden hat.