Die Nachrichten über explodierende Preise für Öl, Gas und Strom verunsichern die Gesellschaft. Marc Ringel, Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen, erklärt, womit Verbraucherinnen und Verbraucher rechnen müssen und welche Rolle der Klimaschutz bei der Entwicklung der Energiepreise spielt.
Was auf die Strom- und Gaskundinnen und -kunden zukommt. Von Preissteigerungen beim Gas von mehr als 200 Prozent in diesem Jahr ist jetzt oft zu lesen. Doch
ganz so dramatisch wird es für die Privathaushalte nicht kommen, beruhigt der Experte. Auf Mehrkosten müssen sie sich freilich einstellen.
Wie sich die steigenden Beschaffungspreise auf die Kalkulation der Stadtwerke auswirken, kann an folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Hätten die Stadtwerke zum Börsenpreis vom 15. Oktober ihr komplettes Gas für kommendes Jahr gekauft, wäre der Einkaufspreis mit 6,59 Cent pro Kilowattstunde netto mehr als dreimal so hoch gewesen wie am gleichen Stichtag ein Jahr zuvor. Zuzüglich von Komponenten wie Netznutzungsentgelte und CO2-Preis ergäbe sich eine Preissteigerung innerhalb der Jahresfrist um netto 4,84 Cent pro Kilowattstunde, was unter dem Strich den Gesamtpreis für den Kunden im Vergleich zum Vorjahr etwas mehr als verdoppelt hätte.
Gleiches gilt beim Strom. Auch hier ist die Preisentwicklung dramatisch. Mitte Oktober lag der Börsenpreis netto mit 14,09 Cent pro Kilowattstunde um mehr als das Zweieinhalbfache höher als zum gleichen Stichtag im Jahr davor. Eine sinkende EEG-Umlage (Erneuerbare-Energien-Gesetz) mildert den Anstieg des Gesamtpreises etwas ab, der erhöht sich aber immer noch um 6,19 Cent gegenüber dem Vorjahr.
Die Gründe für den enormen Anstieg der Energiepreise. Die Erholung der Weltwirtschaft nach dem Corona-Lockdown führt zu einem großen Energiehunger. Auf der anderen Seite seien die Gasvorräte jedoch nicht ausreichend nachgefüllt worden, sodass die Speicher nur zu zwei Dritteln voll sind, erklärt Professor Marc Ringel weitere Ursachen. Naturkatastrophen wie Hurrikane im Golf von Mexiko beschädigten die technische Infrastruktur für die Ölförderung und trugen so zu einer Knappheit bei. Außerdem entschied die OPEC, die Organisation erdölexportierender Länder, die Fördermengen trotz des knappen Angebots nicht zu erhöhen. „Zusammengefasst ist es eine große Nachfrage einerseits und dem gegenüber ein Angebot, das strukturell und teilweise auch politisch bedingt, nicht nachkommt“, so Ringel.
Die Rolle Russlands bei der Verknappung der Gasreserven. Es wird gemutmaßt, Russland halte die Gasmenge aus politischen Gründen künstlich knapp. Marc Ringel: „Fakt ist: Russland, oder besser gesagt Gazprom, hält seine Lieferverträge ein. Aber eben auch nicht mehr. Ob dies technische oder politische Gründe hat, ist schwer zu beurteilen.“ Dass Gazprom seine Liefermenge erhöht, scheint unwahrscheinlich: „Warum sollten sie das tun, wenn sie auch weniger Gas zum dreifachen Preis verkaufen können?“ An den Energiebörsen seien nicht nur Versorgungsunternehmer und Anbieter aktiv, sondern auch Spekulanten. Dabei wird auf hohe Preise gewettet.
Klimaschutz und hohe Energiepreise. Als „eine spannende Diskussion“ bewertet Marc Ringel diese Debatte, die aus seiner Sicht aber falsch geführt werde: „Was wir beobachten, ist ein Anstieg von Preisen für fossile Energien. Der ist auch zu erwarten, weil fossile Energien endlich sind und der Wettbewerb darum zunimmt. Eine Aussage aber, die man häufig hört, ist, dass Klimaschutz und erneuerbare Energien unser System teuer machten und deshalb die Investitionen dafür eingestellt werden sollten. Doch die Argumentation müsste eher lauten: Wie fördert man die Energiewende stärker, weil sie nicht nur für den Klimaschutz wichtig ist, sondern uns auch letztlich absichert gegen die Abhängigkeit von steigenden Preisen bei fossilen Energieträgern. Aber ganz klar, mit steigenden Preisen wird Klimaschutz nicht einfacher.“
Zahlen die Verbraucher nun die Zeche für Versäumnisse der Politik bei der Energiewende? „Nein, das wäre zu hart formuliert“, sagt Marc Ringel: „Die Verbraucher zahlen für eine Transformation, die dringend erforderlich ist und die – auch das ist Teil der Wahrheit – komplexer ist, als die Politik sich das am Anfang vorgestellt hat. Momentan zahlen die Verbraucher für die Abhängigkeit von importierten fossilen Energien. Und natürlich auch für eine Umstrukturierung, die nicht zum Nulltarif zu haben ist.“
Die längerfristige Perspektive. Der Experte glaubt, dass das Phänomen der hohen Preise am Beschaffungsmarkt auf den kommenden Winter begrenzt sein und sich im Frühjahr nach der Heizperiode wieder beruhigen wird. Die sinkende EEG-Umlage werde die steigende CO2-Bepreisung zumindest teilweise nivellieren. „Ich glaube, dass die Politik verstanden hat, dass die Energiepreise eine massive Belastung für die Bürger sind, und man erwarten kann, dass politische Lösungen gefunden werden“, erklärt Marc Ringel. Dennoch bleibt eine Rückkehr zu den Preisen im Vorjahr unwahrscheinlich.
Höhere Energiepreise sollen ein Anreiz sein für umweltfreundliche Alternativen. Wird das funktionieren? „Ich bin optimistisch, dass es
funktioniert“, sagt Marc Ringel. Viele Bausteine müssten dabei zusammenwirken: Erneuerbare Energien zählten dazu, auch grüner Wasserstoff, der über erneuerbare Energien erzeugt wird und Teile der Wärme- und Stromversorgung übernehmen könne, aber auch Energie sparen und Energieeffizienz. Einige Bausteine funktionierten bereits sehr gut. „Doch zuerst muss investiert werden, ehe man profitiert“, sagt Marc Ringel. Diese Phase habe man noch nicht erreicht.
Ist ein Anbieterwechsel, wie er von Verbraucherschützern häufig empfohlen wird, in der aktuellen Situation ratsam? Dazu sagt Marc Ringel: „Die Ankündigung einer Preiserhöhung – aus welchen Gründen auch immer – gibt den Kundinnen und Kunden ein Sonderkündigungsrecht. Allerdings sollte bei einem Wechsel zu einem anderen Versorger genau geschaut werden, dass es sich um ein seriöses Angebot handelt. Es gab bereits in der gewerblichen Versorgung Fälle von Insolvenzen, das sollte allerdings nicht überbewertet werden. Viel wahrscheinlicher ist, dass Anbieter keine neuen Kunden annehmen und man beim Wechsel nur eingeschränkte Möglichkeiten hat.“