Nicht nur für Frank-Walter Steinmeier war der Sonntag wohl ein besonderer Tag, als er für seine zweite Amtsperiode als Bundespräsident gewählt wurde. Auch für Clara Schweizer war es ein unvergessliches Ereignis, war die Nürtingerin doch in der Bundesversammlung als Wahlfrau vertreten. „Als ich mein Kreuzchen gemacht habe, war das schon ein ganz besonderer Moment“, sagte sie.
Die 19-Jährige Abiturientin ist nicht nur Mitglied in der Grünen-Jugend, sie engagiert sich gesellschaftspolitisch bereits seit ihrem 13. Lebensjahr in vielfältiger Weise, sei es seit über vier Jahren als Vorsitzende des Nürtinger Jugendrats, als Mitglied im Initiativkreis für Jugendbeteiligung des Landkreises Esslingen oder als Klimaschutz-Aktivistin bei Fridays for Future. Das blieb Andreas Schwarz, dem Grünen-Fraktionsvorsitzenden im baden-württembergischen Landtag, nicht verborgen, er schlug sie für die Bundesversammlung vor. Mit ihm und der grünen Landtagspräsidentin Muhterem Aras reiste sie per ICE am Freitag nach Berlin und erlebte während der Zugfahrt die Fraktionssitzung der Bundes-Grünen, die online abgehalten wurde. „Dabei hat sich auch Steinmeier als Kandidat nochmals vorgestellt und Fragen beantwortet“, erzählt sie.
Nach etwas Freizeit am Samstag stand bereits der erste offizielle Termin an, und zwar der Corona-Test am Reichstagsgebäude und die Entgegennahme von Unterlagen für die Wahl. „Das hat eine ganze Zeit gedauert“, erzählt die Nürtingerin, waren doch 1472 Wahlleute zu versorgen. „Ich hatte Angst, im letzten Moment doch noch positiv getestet zu werden“, sagt sie. Am Abend lud der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann alle Wahlleute aus dem Ländle zum Empfang in der Landesvertretung ein, „zu Spätzle mit Alblinsen-Küchle“, so die Vegetarierin.
Dabei hatte sie Gelegenheit, mit einigen Politprofis ins Gespräch zu kommen, zum Beispiel mit Ricarda Lang aus Nürtingen, die erst vor Kurzem zur Bundesvorsitzenden der Grünen gewählt wurde, oder mit Rudi Hoogvliet, langjähriger Regierungssprecher Kretschmanns und jetziger Staatssekretär für Medienpolitik. Sie habe dabei einige Tipps für den Medienrummel bekommen, dem sie sich plötzlich und unerwartet ausgesetzt sah, war sie doch zumindest das jüngste weibliche Mitglied der Bundesversammlung, neben ihr gab es noch einen 18-jährigen Auszubildenden. „Locker und authentisch bleiben“, lautete der Rat für die Medientermine, und die häuften sich plötzlich. Ein Team des Südwestrundfunks hatte bereits am Donnerstag mit ihr in Nürtingen gedreht, für die Tagesthemen gab‘s nochmal einen Beitrag.
Am Sonntag ging es mit dem Shuttle-Bus zum Reichstagsgebäude. Dort wurde sie der Grünen-Fraktion vorgestellt. Dabei hatte sie zum Beispiel Gelegenheit, einige Worte mit Robert Habeck und Cem Özdemir zu wechseln, und sie begegnete noch vielen anderen aus Politik, Sport und Kultur, „die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt“, erzählt sie. Eine etwas kuriose Begegnung war die mit Angela Merkel, die Clara Schweizer von hinten auf die Schulter tippte, weil sie die Nürtingerin mit der grünen Familienministerin Anne Spiegel verwechselte. Clara Schweizer nutzte die Gelegenheit gleich zu einem Foto, das Cem Özdemir für sie anfertigte.
„Ich erfuhr viel Zuspruch, alle fanden es cool, dass ich mich in so jungen Jahren engagiere“, freut sie sich. Diese Anerkennung und viele inspirierende Gespräche seien für sie nochmals ein Motivationsschub gewesen, sich politisch und gesellschaftlich einzubringen, sagt die 19-Jährige. „Als Steinmeier dann die Wahl angenommen hatte und in den Saal kam, standen alle auf und applaudierten“, blickt sie zurück. Seine Ansprache habe sie beeindruckt. „Er hat klar Stellung bezogen, auch dazu, dass er als Bundespräsident zwar zur Neutralität verpflichtet sei, nicht jedoch dann, wenn es um die Verteidigung der Demokratie gehe.“
Zum Abschluss wurde sie noch von einem Journalisten in das Hauptstadtbüro der ARD eingeladen. Mit vielen Eindrücken und neuen Kontakten im Gepäck kam sie am späten Sonntagabend wieder in Nürtingen an.