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Nach Anschlag: Mulmiges Gefühl wohnt in der Nachbarschaft

Kriminalität Vor zwei Jahren ist auf das Haus einer türkischstämmigen Familie in Sielmingen ein Brandanschlag verübt worden. Warum hat von dem Vorfall kaum einer etwas mitbekommen? Von Caroline Holowiecki

Selbst zwei Jahre später ist hinter dem Wohnhaus der Familie Akyol eine Brache. Der Schuppen, der hinter einer Reihe von Garagen stand, ist weg, ebenso der Carport. Geblieben sind eine kahle Fläche, ein hoher finanzieller Schaden – und ein mulmiges Gefühl. In der Nacht auf den 17. Dezember 2021 legt hier jemand Feuer. Eine Nachbarin bemerkt gegen 2.30 Uhr die Flammen hinter dem kleinen Mehrfamilienhaus an der Heußstraße in Sielmingen. Der Bewohner Ömer Akyol rennt mit einem Feuerlöscher herbei, ausrichten kann er nichts. Ein Nachbarhaus wird beschädigt, ebenso das Heim der Akyols. Fensterläden schmelzen, Scheiben bersten. Die Höhe des Sachschadens gibt Ömer Akyol mit 150 000 bis 200 000 Euro an. „Wir waren nicht versichert, leider“, sagt er.

 

Streit ums Grillen im Garten

Ömer Akyol stammt wie seine Angehörigen aus der Türkei. Er ist überzeugt, es habe sich um einen rassistisch motivierten Brandanschlag gehandelt, ebenso wie bei einem zweiten Brand kurz zuvor. Im Juni 2021 hatte offenbar jemand einen Holzstapel am Haus angesteckt.

Die Eheleute Akyol leben seit 43 Jahren in Deutschland, sind deutsche Staatsbürger. 62 Jahre alt ist der Mann mit dem grauen Schnauzbart und dem gemusterten Hemd. Sechs Kinder und vier Enkel haben er und seine Gattin, eine zurückhaltende, gastfreundliche Frau, die ein Kopftuch trägt. Ömer Akyol arbeitet als Schweißer. „Seit ich in Deutschland bin, war ich keinen Tag arbeitslos. Ich habe keinen Cent Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe von Vater Staat erhalten“, sagt er.

Vor 13 Jahren sei man nach Sielmingen gezogen, gemeinsam mit der Familie des Bruders. Seither habe es Ärger gegeben. Was Ak­yol erzählt, klingt zunächst nach klassischen Nachbarschaftsstreitigkeiten, etwa ums Grillen im Garten. „Ich denke, es ist grundsätzlich Fremdenhass“, stellt er klar. Die Nachbarin, die vor zwei Jahren das Feuer entdeckt hatte, habe einen Mann – mutmaßlich den Täter – auf der Straße Beleidigungen rufen gehört. Während 39 Feuerwehrleute gegen die Flammen kämpften, hätten sich Schaulustige auf der Straße verächtlich geäußert, einzeln sogar Beifall geklatscht. Auch vor dem Feuer habe es rassistische Anfeindungen gegen die Familie gesetzt. Ömer Ak­yol glaubt zu wissen, wer seiner Ansicht nach zweimal Feuer gelegt hat. „Von Stuttgart oder Tübingen kommt keiner hierher“, sagt er.

Mehrere Angehörige leben in dem Haus in Sielmingen auf unterschiedlichen Stockwerken. „Wir sind froh, dass keine Menschen zu Schaden gekommen sind“, sagt Akyol. Der Angriff hat aber etwas mit der Familie gemacht. Kameras und Bewegungsmelder wurden installiert. Lange Zeit habe er sehr schlecht geschlafen. Ständig hätten sich die Gedanken um Fluchtwege aus dem Haus gedreht. Der Bruder habe es nicht mehr ausgehalten. Er sei zurück in die Türkei gegangen.

 

„Betroffenen nicht zugehört“

Ömer Akyol findet, dass das Thema Rassismus im Rahmen der Ermittlungen zu wenig beleuchtet wurde. Auch bei Leuchtlinie empfindet man das Ganze als unbefriedigend. „Ich glaube, das Problem ist, dass man den Betroffenen nicht zuhört“, sagt deren Berater Sebastian Koch. Er zieht Parallelen zum Umgang mit dem NSU oder dem Attentat in Hanau.

Auch dort hätten Menschen zu wenig Gehör gefunden. „Ich finde wichtig, den Betroffenen eine Stimme zu geben“, sagt er. Auf Wunsch der Familie findet anlässlich des Jahrestages des mutmaßlichen Brandanschlags eine Gedenkveranstaltung statt, ausgerichtet von der Initiative Heußstraße. Neben den Akyols haben sich dort lokale Unterstützer und Vertreter von Leuchtlinie zusammengeschlossen. Ziel: das Thema in die Öffentlichkeit bringen. Und sensibilisieren. „Wir möchten verhindern, dass anderen Menschen so was passiert“, sagt Ömer Akyol. „Wir wollen alle hier im Land in Frieden zusammen leben.“

 

„Keine Anhaltspunkte zur Täterschaft“

Unterstützung erhält die Familie Akyol von „Leuchtlinie“, einer Fachstelle für Betroffene von rechter Gewalt. Laut der Beraterin Kerstin Müller nehmen Übergriffe in letzter Zeit zu. Im Jahr 2022 sind 99 Fälle in Baden-Württemberg als eindeutig rechts, rassistisch oder antisemitisch identifiziert worden, 57 Vorfälle blieben im Graubereich. Von den Umständen, unter denen der Brand 2021 ausgebrochen ist, haben indes wenige Filderstädter etwas mitbekommen. Die Polizei veröffentlichte damals eine neutrale Meldung über einen Brand mit ungeklärter Ursache. Von der Staatsanwaltschaft wurden die Ermittlungen wegen des Verdachts der Brandstiftung eingestellt, sagt der Sprecher Aniello Ambrosio. Es hätten sich keine Anhaltspunkte zur Täterschaft oder zum konkreten Tathergang ergeben, ebenso wenig zu einer fremdenfeindlichen Motivation. „Das war durchaus Gegenstand der Ermittlungen“, sagt er.

Filderstadts Oberbürgermeister Christoph Traub betont, man nehme Hinweise auf Fremdenfeindlichkeit sensibel auf und sehe es als Verpflichtung an, „dass Demokrat*innen zusammenzustehen haben, um antidemokratische Tendenzen und Rassismus abzuwehren und sich für ein Leben ohne Diskriminierung und Ausgrenzung einzusetzen“. Die Verwaltung habe sich mehrfach bei Polizei und Staatsanwaltschaft über die Ermittlungen erkundigt. „Die Stadt bedauert die Geschehnisse, welche die Familie erleiden musste, ausdrücklich“, man könne jedoch nur bei hinreichenden Hinweisen auf fremdenfeindliche Motive öffentlich reagieren. cor