Die Brände in der Nürtinger Schafstraße, bei denen am 1. November zwei Menschen ums Leben gekommen waren, hätten womöglich verhindert werden können - heißt es in einem Brief des Deutschen Mieterbundes (DMB) Esslingen-Göppingen an den Nürtinger Oberbürgermeister Johannes Fridrich. Es sei unverständlich, warum die Stadt Nürtingen trotz Hinweisen auf Überbelegung, Mängel des Brandschutzes, defekte Elektroinstallationen, Ungezieferbefall und Vermüllung nicht tätig wurde, so die Vorwürfe des DMB-Vorsitzenden Udo Casper. Darüber hinaus gebe es Hinweise auf weitere Unterkünfte in Nürtingen, in denen aktuell Menschen unter ähnlichen Umständen leben müssen, wie in den Wohnungen in der Schafstraße.
OB Fridrich hat nun einen offenen Brief an Udo Casper und den Mieterbund auf Facebook veröffentlicht. Darin behauptet Fridrich, die Kritik des Vorsitzenden sei „doppelt problematisch“. Erstens sei die Brandursache noch immer nicht geklärt. Ob es Brandmelder gab, müsse noch geprüft werden. „Schuldzuweisungen helfen niemandem, wir sollten die Sachverhaltsaufklärung der Polizei überlassen“, so Fridrich.
Zweitens sei es „unseriös, juristisch problematisch und ein Stück weit populistisch, aus Medienberichten und vom Hörensagen solche gravierenden Vorwürfe gegen die Stadt zu erheben, die ja eine fahrlässige Tötung nahelegen. Ich kann Ihnen daher nur empfehlen, diese in keiner Weise mit Tatsachen unterlegten Vorwürfe zukünftig zu unterlassen“, schreibt Fridrich.
Auch der Vorwurf, das Ordnungsamt hätte die Miethöhe in der Schafstraße 2 und 4 nicht geprüft, „wundert“ Fridrich. Immerhin liegen der Stadt keine Informationen über zu hohe Mieten in den Brandhäusern vor.
In seinem Brief zieht der OB zudem den Mieterbund selbst in die Verantwortung. Liegen dem DMB tatsächlich Hinweise über Unterkünfte in Nürtingen vor, in denen Zimmer zu überhöhten Preisen vermietet werden und in denen die Gesundheit und Sicherheit der Bewohner gefährdet sind, hätte man sich früher an die Stadt wenden müssen: „Was mich indes wundert, ist, dass Sie sich vor dem Brand nie bei der Sozialbürgermeisterin oder mir mit Ihren Beobachtungen gemeldet oder den Sachverhalt angezeigt haben“, so Fridrich an Casper. „Ich hätte mich sehr gefreut, wenn Sie sich der Sozialbürgermeisterin oder mir einmal im Nürtinger Rathaus vorgestellt hätten. Dann hätten wir über alle Themen in Ruhe sprechen können.“ Stattdessen sei die Kontaktaufnahme „unglücklich“ gewesen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Stil und diese Art im Interesse der Mitgliederinnen und Mitglieder des Deutschen Mieterbundes ist“, schreibt Fridrich.
Überrascht und enttäuscht
Udo Casper reagiert auf Fridrichs Einlassungen überrascht. Den an ihn persönlich gerichteten Brief habe der DMB-Vorsitzende selbst nie erhalten. Offensichtlich sei das Schreiben im Internet erschienen. „Bevor wir unseren Brief veröffentlicht haben, haben wir ihn dem OB persönlich zukommen lassen, damit er genügend Zeit hat, darauf zu reagieren“, so Casper: „Offensichtlich bevorzugt Herr Fridrich einen anderen Stil.“
Auch vom Inhalt des Briefes ist Casper enttäuscht: „Das Schreiben ist weder sachlich noch geht es um die Sache selbst. Herrn Fridrich geht es nur darum, den Mieterbund und seinen Vorsitzenden persönlich anzugreifen.“ Casper ist erstaunt darüber, dass der OB versuche, einem Verein die Mitschuld in dem Fall zu geben: „Wenn es eine Stadt mit hauptamtlichen Kräften nicht schafft, ihren Hausstand zu kontrollieren, wie soll das ein Verein mit ehrenamtlichen Mitarbeitern im gesamten Landkreis schaffen?“, fragt er.
Die Aussage Fridrichs, die Stadt habe keine Informationen über die Miethöhe der Brandhäuser, könne nach Caspers Meinung als Entschuldigung nicht gelten: „Wenn eine Stadt Hinweise auf Wuchermieten hat, muss sie das überprüfen. Vielleicht gab es vor dem Brand solche Hinweise nicht, aber jetzt gibt es sie.“
Als „fast schon witzig“ empfindet Casper das Argument, er hätte im Rathaus vorstellig werden können. „Der Mieterbund hat seit fast 20 Jahren eine Beratungsstelle in Nürtingen. Wir haben auch an dem qualifizierten Mietspiegel mitgearbeitet. Wir sind also keine unbekannte Organisation in der Stadt.“ Casper möchte auf das Schreiben des Nürtinger Rathauschefs antworten. „Aber das wird zunächst an ihn persönlich gehen, mit genügend Zeit zu antworten.“