Wirtschaft
Nadelstiche gegen Amazon

Bekanntlich könnte sich der Handelsgigant im Bad Uracher Ortsteil Hengen ansiedeln. Der Protest dagegen reißt derweil nicht ab. Nun erwartet Amazon Post aus Hengen. 

Der Online-Händler Amazon plant ein Vertzeilzentrum in der Region. Ein möglicher Standort ist ein Gewerbegebiet in Hengen. Foto: stock.adobe.com

Formal ging es in der Anfang Dezember beendeten Öffentlichkeitsbeteiligung um den Bebauungsplan „Rübteile II“ in Hengen, kein Geheimnis ist es allerdings mehr, dass sich dort der global agierende Online-Handelsgigant Amazon mit einem Verteilzentrum ansiedeln könnte. Seitdem die damals schon lange zurückreichenden Überlegungen im Sommer publik gemacht wurden, inzwischen sind sie bestätigt durch die Stadt Bad Urach sowie durch das Unternehmen selbst, gibt es in der Bevölkerung mal laut mal weniger laut geäußerte Kritik nicht nur am Stil der Kommunikation, sondern auch am Unterfangen selbst.

 

Vielleicht fangen einzelne Leute an, das kritischer zu sehen, je länger sich die Geschichte zieht. 

Hermann Kiefer, Unternehmer und Protest-Initiator

 

Einer der kritischsten Wortführer ist der Hengener Unternehmer Hermann Kiefer, der seitdem nichts unversucht lässt, gegenzusteuern. Er kritisiert unter anderem die Methoden, mit der der Onlinehändler seine übergeordnete Marktmacht erkämpft und so kleinere Firmen an den Rand des Ruins gebracht habe. Das Agieren des Konzerns hat längst weltweit Kartellbehörden auf den Plan gerufen, in Deutschland verfügte das Bundeskartellamt 2022 etwa, dass Amazon aufgrund seiner Stellung unter verschärfte Wettbewerbsaufsicht gestellt werden muss. Im April dieses Jahres bestätigte der Bundesgerichtshof diese Entscheidung.

Briefe an Özdemir und Holmberg

Zur gleichen Zeit bekam der Konzern auch in Italien Ärger, und die italienische Kartellbehörde verhängte eine Strafe von zehn Millionen Euro, wegen unlauterer Geschäftspraktiken. Bei vielen Produkten sei bei der Kauf-Option statt „einmalig“ automatisch „regelmäßig“ eingestellt gewesen, wodurch die Wahlmöglichkeit der Verbraucher eingeschränkt gewesen sei. Noch anhängig ist eine Klage in den USA, weil Amazon die Preise für Verbraucher in die Höhe treiben würde. Amazon bestrafe demnach Händler, die ihre Waren auf konkurrierenden Internetseiten günstiger anböten.

Derlei Umstände sind für Kiefer der Grund, den Handelsriesen kritisch zu sehen, und ihn nicht vor der eigenen Haustüre haben zu wollen. Nichts an seiner Einstellung geändert hat da die gemeinsame Infoveranstaltung der Stadt und von Amazon in Wittlingen Ende September. Er nennt sie eine reine Werbeveranstaltung. Um Unterstützung bittend, hat sich Kiefer im Anschluss daran mit einem Schreiben an Bundesminister Cem Özdemir und die Grünen Landtagsabgeordnete Cindy Holmberg des Wahlkreises Hechingen-Münsingen gewandt. Bislang allerdings ohne Reaktion.

Ans Aufgeben denkt Kiefer aber noch lange nicht. Momentan versucht er gleichgesinnte Bürger und Unternehmen, hauptsächlich aus Hengen, zusammenzutrommeln, die sich einem gemeinsamen Schreiben an Amazon anschließen wollen. Spätestens in der ersten Januarhälfte soll das Schreiben im Amazon-Briefkasten landen.

Für ihn ein weiterer Nadelstich, den er dem Konzern zufügen möchte, in der Hoffnung, dass er in letzter Minute doch noch abspringen möge und das Projekt beerdigt wird. Auf den Bad Uracher Gemeinderat, aus seiner Sicht bislang überwiegend pro Amazon, setzt er dahingehend wenig Hoffnung. „Aber vielleicht fangen einzelne Leute an, das kritischer zu sehen, je länger sich die Geschichte zieht“, so Kiefer. Heimlich spekuliert er auch auf einen Sinneswandel bei Amazon, angesichts der aktuellen Wirtschaftslage.

Die grundsätzliche Kritik an Amazon – unter anderem wird dem Online-Handel als solches vorgeworfen, für die Leerstände in den Innenstädten mitverantwortlich zu sein – relativiert derweil Sabine Hunzinger, Vorstand des Bad Uracher Handels- und Gewerbevereins „Bad Urach aktiv“ und ehemalige Stadträtin für die Freien Wähler. Persönlich sieht sie im veränderten Kaufverhalten eher ein gesellschaftliches Problem, das Kind sei allerdings schon längst tief in den Brunnen gefallen. Jetzt die moralische Keule zu schwingen, sei viel zu spät und hätte bereits vor 15 Jahren geschehen müssen, so die Buchhändlerin.

Stattdessen richtet sie den Blick aufs Jetzt: „Als Stadt muss man nehmen, was man bekommt“, spielt sie auf mögliche Steuereinnahmen durch die Ansiedlung an. Das Verteilzentrum werde auf jeden Fall in die Region kommen, ist sie sich sicher. Und falls nicht in Hengen, dann womöglich in Böhringen. Aber ganz gleich, wo es schlussendlich gebaut wird: „Jeder kann für sich ja entscheiden, nichts mehr beim großen A einzukaufen.

Kiefer selbst will sich derweil nicht verkämpfen und darüber verbittern. Auch ist er Realist genug, die Aussichten auf Erfolg nicht in den Himmel wachsen zu lassen. Sollte die mögliche Ansiedlung aber schon nicht verhindert werden können, wünscht er sich von der Stadt, dass sie dem Versandhändler dann wenigstens nicht noch den roten Teppich ausrollt, spielt er auf die recht freizügig angedachten Begrünungsauflagen im künftigen Industriegebiet an.