Zwischen Neckar und Alb
Nahrungsmittel: Viel zu schade für die Tonne

Nachhaltigkeit Eine Gruppe Engagierter rettet mit einer alten Telefonzelle Lebensmittel vor dem Müll. Mit Hilfe einer Spende funktioniert jetzt auch die Kühlung. Von Johannes Aigner

„Gleich ist hier richtig was los“, sagt Katja Schleef und hievt eine Kiste mit Lebensmitteln aus einem kleinen Transporter. Ihre Kollegin Teresa Obst steht einige Meter entfernt und tippt etwas in ihr Handy. „Normalerweise dauert es keine fünf Minuten“, sagt sie, ohne den Blick zu heben. Kurze Zeit später biegt ein Auto auf den Parkplatz der Nürtinger Seegrasspinnerei ein. Eine Frau mittleren Alters steigt aus. Sie lässt ihren Blick über die zahlreichen Kisten mit Essen schweifen und bemerkt: „Wow, heute ist es ja eine gute Ausbeute.“

Laut dem Bundesministerium für Ernährung wandern in Deutschland jährlich circa zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel in den Müll. Mehr als die Hälfte davon in privaten Haushalten. Dabei sind die Produkte oft noch essbar. Sie haben nur Schönheitsmakel oder das Haltbarkeitsdatum ist abgelaufen. Katja Schleef und Teresa Obst sind Mitglied der Organisation Foodsharing, die das sinnlose Wegwerfen von Lebensmitteln verhindern will. In Nürtingen betreuen sie unter anderem den Fairteiler auf dem Gelände der Seegrasspinnerei in der Plochinger Straße. Dort kann jeder übriggebliebene Lebensmittel einlagern und auch mitnehmen, so viel man möchte.

 

Das ist sehr viel Verantwortung. Die Geldstrafen sind nicht ohne.
Teresa Obst
über die rechtliche Haftung für die angebotenen Lebensmittel

 

Heute hat Schleef eine Großlieferung erhalten. Bananen, Salat, Brot und einiges mehr – zu viel für den Fairteiler. Teresa Obst hat deswegen in einer Whatsappgruppe den Interessierten Bescheid gesagt, dass es etwas zu holen gibt. Hunderte Lebensmittelretter der Region sind so vernetzt und halten sich auf dem neuesten Stand. Wie versprochen dauert es nicht lange, bis der Parkplatz der Seegrasspinnerei gefüllt ist. Im Minutentakt kommen Menschen vorbei, begutachten die Lebensmittel und packen ein, was und so viel sie wollen. Schleef geht währenddessen umher und drückt jedem noch einen der Glückskekse in die Hand, die sie von einer Stuttgarter Bar erhalten hat.

Teresa Obst räumt derweil Brotlaibe in den Fairteiler. „Der ist ein bisschen zu meinem Baby geworden“, sagt sie und grinst. Kein Wunder, denn sie ist als Verantwortliche eingetragen. „Es gibt Regeln, was die Leute reinlegen dürfen und was nicht“, erläutert Obst. Die Lebensmittelaufsicht überwacht regelmäßig, dass diese eingehalten werden. Gibt es einen Verstoß, haftet Obst persönlich. „Das ist schon sehr viel Verantwortung. Die Geldstrafen, die drohen, sind nicht ohne“, sagt sie.

Bereits seit Anfang 2021 kann man in der umgebauten Telefonzelle Lebensmittel vor der Verschwendung retten. Auch ein kleiner Kühlschrank für Verderbliches ist angeschlossen, doch der sorgte in der Vergangenheit immer wieder für Probleme. Im Sommer fiel er öfters aus, da er den hohen Temperaturen nicht Stand halten konnte. Durch eine Spende war es dem Team nun möglich, einen Holzverschlag anzubauen, der Schatten bietet. „Jetzt kann er ganzjährig betrieben werden. Und durch die Lampe, die ebenfalls neu angebracht wurde, kann man auch nachts vorbeikommen“, erläutert Obst.

Das ist nötig, denn am Fairteiler herrsche ganztägig reger Betrieb, sagt Birgit Seefeldt, die Abteilungsleiterin der Kulturkantine in der Seegrasspinnerei. Da sie gleich nebenan arbeitet, hat sie einen guten Überblick darüber, von wem und wie oft das Angebot genutzt wird. „Ich würde sagen, zwischen fünf und acht Personen schauen pro halbe Stunde vorbei“, berichtet Seefeldt: „Und das sind ganz unterschiedliche Leute. Zum Beispiel geflüchtete Jugendliche, Studenten, aber auch mittelständische Familien.“ Viele machten das, weil sie gegen Lebensmittelverschwendung kämpfen wollen. Doch einige seien auch wegen ihrer finanziellen Lage auf das Angebot angewiesen. Seit Beginn der Corona-Pandemie hätte die Zahl der Besucher zudem deutlich zugenommen.

Doch wie wird man überhaupt Foodsaver? Bei Katja Schleef gibt es darauf eine einfache Antwort: eine neue Küchenmaschine. Als sie sich diese damals kaufte, beschäftigte sie sich mit dem Haltbarmachen von Lebensmitteln. Sie begann, alle möglichen Obstsorten zu dörren, bis ihr die Ergebnisse über den Kopf wuchsen und sie nicht mehr wusste wohin damit. „Da hab ich mich umgeschaut, wem ich das ganze gedörrte Obst bringen konnte. Für mich selbst und meine Familie war es schlichtweg zu viel“, erzählt sie. Sie wurde auf den Fairteiler aufmerksam und über diesen auf die Organisation Foodsharing. „Mit der Zeit wächst man mit den anderen Foodsavern wie eine Familie zusammen, da man ein gemeinsames Ziel hat und oft gemeinsam unterwegs ist“, sagt sie.

Schleef zückt ihr Handy und öffnet eine Anwendung. Auf dem Bildschirm erscheint ein Diagramm. Es zeigt die Temperatur im Inneren des Kühlschranks. Dort ist ein Sensor verbaut, der die Daten übermittelt. „So sehen wir schnell, wenn die Temperatur mal in den kritischen Bereich kommt und wir können handeln“, sagt sie.

Obst, Schleef und ihre Mitstreiter haben weitere Pläne. In naher Zukunft soll zum Beispiel ein kleines Solarpanel hinzukommen. So kann sich der Fairteiler ganz von selbst versorgen – und die Umwelt noch mehr schonen.